DER BAU – Ein Stück über die missstimmige Symphonie

Es ist „our shit, our river“ – und in dieser sumpfigen Fischsuppe ist es gar nicht einfach, Licht zu machen. Das TiB bietet mit DER BAU ein scharfsinniges Verständigungsportal zu demokratischen, oppositionellen, archaischen und vor allem keinesfalls bipolaren Emotionshaltungen, die mit in- & offiziellen Positionen, Solidaritätsanforderungen und Antipartien untrennbar verbunden sind. In einer Stadt, in der neben der Mur auch das Geld fließt.

„Wir spielen mit dem Murkraftwerk und nennen es den BAU“

In diesem Stück wird bezeugt, wie Off Theater mittels sprachlicher, visueller, digitaler und abstrahierender Werkzeuge  gesellschaftliche Kompliziertheit aufzudröseln vermag und damit eine offenere Diskussionsbühne bereitstellen kann. Die Benennungen sind hinreichend, wir kennen uns aus. Eine Voice Over geleitet (bis zu einem gewissen Punkt) mit sachlicher und dennoch zynischer Außenseitersicht durch die Wirrungen einer Begegnung, die nicht alle gleichermaßen erschüttert. Das liegt im Kern der Sache: in eine so aufgeheizte Diskussion wächst man hinein und mit ihr mit. Solange, bis wirklich alle Beteiligte denken, es gehe um Gut und Böse. Wer unvermittelt in den bestehenden Disput hineingeworfen wird, hat sich zu bekennen. Und wehe, wenn nicht.

DER BAU [Regie: Helmut Köpping] findet zahlreiche Ankerpunkte. Denn ohne Zeitgeschichte geht es auch in dieser Gesellschaftsposse nicht. Die Stadt als Akteurin trägt Vergangenheiten mit sich. „Alles saß tief in dieser Stadt“. Das allgemeine dumpfe Gefühl finanzieller Ungereimtheiten treibt seit geraumer Zeit seine Blüten.
Die Rebellion bricht in unterschiedlichen Gewändern hervor. Und wenn zwei Frauen in der späteren Mitte ihrer Lebensphase sich barbusig für repräsentativ halten, müssen sie verblasste 1968er sein. Daran knüpft erklärungsreich Zwentendorf und umweltpolitischer Höhepunktsaktionsimus an – zwischen den Zeilen steht aber mehr. Romantische Vorstellungen von Gemeinschaft, Friede und Liebe in Zeiten hartnäckiger neoliberaler Härte bedingen die oppositionellen Motivationen gleichermaßen wie die Einsicht, dass der Feminismus immer noch das Dasein eines Halbschattengewächses fristet. Trotz (oder gerade wegen) Mühen und gutbürgerlichem Dasein endet der weiblich-autonome Weg allzu vorzeitig in einer Sackgasse. Alles richtig gemacht, nichts erreicht. Der Betrug ist groß, der Wunsch nach persönlicher Rache am karrieregeilen Ehemann und an seinem schützenden System ist obligatorisch. Dafür lohnt es sich, so richtig Krawall zu schlagen. Hört her und seht hin!

Aber auch politische Ehen sind zumeist keine Kuschelfusionen. Es ist ein hartes Geschäft, für das es viel Hingabe braucht. Oft wird nicht richtig zugehört, nicht verstanden. Der Ärger mag einseitig sein (für die andere kann es sich recht gemütlich ausgestalten, Narrenfreiheit abzufeiern), zuweilen ein Drahtseilakt. Prioritäten helfen, die Visionen nicht aus dem Blick zu verlieren, da wird so manche Krot geschluckt. Indem das TiB „Meinen katholischen Bürgermeister“ und „Seinen nationalen Vize“ weiblich besetzen, wird Schärfe aus einer potentiellen personenbezogenen Antipathie genommen. Die Darstellung der Begebenheiten verlieren dadurch und aufgrund der eingesetzten Possessivpronomen nicht an Umriss. Die Massage lautet: auch sie haben Motive, hängen mit drinnen, müssen sich mit eigenen und fremden Emotionen herumschlagen. Die Angst vor einer wirren Identitätsgefährdung („Ich bin der Bau“) und brennende ideologische Hingabe kann zu Blindheit oder Bissigkeit führen. Je nach betrachteter Perspektive erweisen sich politische Beweggründe als mehr oder weniger koscher. Jedenfalls aber sind sie ernst- und wahrzunehmen. Schließlich treiben auch sie in der Fischsuppe umher.

Wie lässt sich in einer solchen Missstimmigkeit und gegenseitiger Verkennung sachliche Argumentation einspielen? Dafür bräuchte es etwa eine Sprache, die (fast) alle verstünden. Aber auch mit größter Bemühung, eine geordnete Diskussion einzuleiten, gerät die Auseinandersetzung schnell in Schieflage, lassen sich vormals unbeteiligte Menschen instrumentalisieren. Die Symphonie spielt verschiedene Melodien. Wenn die innere Stimme verrücktspielt, freut sich das verwirrte Wesen zur Orientierung über eine äußere Äquivalenz. Eine Garantie ist das allerdings nicht. Dennoch: solange die Diskussion lebt, lebt die Stadt, lebt die Mur. Gedanken- und Meinungslosigkeit ist mitunter eine gefährliche Haltung – in einer Demokratie. Die Sichtweisen aber sind durchwegs diskutier-, erkenn- und verschiebbar.

Karin Scaria-Braunstein

http://www.theater-im-bahnhof.com/