Die Stadt der Rabtaldirndln :: Die Stadt der politischen Visionen? Eine soziologische Begleitung. Blog3

Frauenpolitik steht nicht auf der politischen Agenda der Stadtregierung in Graz. Dabei wissen wir spätestens seit #Blog1, dass Frauen in Graz in der Überzahl sind. Aber der Reihe nach.

Was macht denn der Buchtelsatz für ein Frauenbild auf?[1]

Die Rabtaldirndln malen ab 14.09.2020 in Die Stadt der Rabtaldirndln ein dystopisches Gemälde von Graz[2]. Was alles sein könnte, und wie wir nicht leben wollen[3], in den kommenden Jahren. Korruption. Ausverkauf. Untergang. Und die Rabtaldirndl-Agentinnen werden demonstrativ aufzeigen, wohin uns das führt.

Die Grazer Stadtregierung hat auch Visionen. Eine Vision hat sie für eine Smart City Graz 2050. Das liegt voll im Trend. In Österreich gibt es bereits zahlreiche Smart City-Projekte aus der Initiative des Klimafonds[4], in Graz alleine 14[5]. Die Projekte tragen Namen wie „power@work“, „Smart Future Graz“ oder „SONTE – Smarte Modernisierung Tressenhaussiedlung Graz“[6].

In den kommenden 20 Jahren werden darüber hinaus in der „stark wachsenden Stadt Graz mit begrenzenden Siedlungsflächen“[7] fünf Smart City Stadtteile geplant und erbaut werden. Für My Smart City Graz[8] wird ausgehend gefragt:

Was ist eine „Smart City“?[9]

Mit dem Begriff „Smart City” wird eine energieeffiziente, ressourcenschonende und emissionsarme Stadt höchster Lebensqualität bezeichnet, wo neueste Energietechnologien zur Anwendung kommen. Die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit sowie eine bedarfsgerechte Nahversorgung sollen berücksichtigt werden. Attraktive öffentliche Parks und Plätze bilden wichtige Lebensräume für die Bevölkerung. Ein schonender Umgang mit unserer Umwelt soll durch die Umsetzung zukunftsfähiger Energie- und Verkehrskonzepte erreicht werden. Das erste Smart City Quartier entsteht im Umfeld der Helmut List Halle und nennt sich “My Smart City Graz“.

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Die online verfügbare Vision von der Smart City Graz 2050[10] behandelt in kurzen Absätzen Visionen für die Handlungsfelder Gesellschaft, Ökologie, Energie, Mobilität, Ent- und Versorgung, Gebäude und Ökonomie. Das lässt sich textanalytisch[11] untersuchen. Empirisch ist festzustellen, welche Ideenbilder hinter den Texten stehen. Es werden dafür Begriffe systematisch untersucht und aufgezeigt, welche von ihnen an der Basis und welche an der Spitze einer Ideen-Pyramide stehen.

Wesentliche Begriffe[12] im Smart City Graz 2050 Text sind: Graz (10 Nennungen), Vision (7 Nennungen), Mobilität (5 Nennungen) und Büger*innen (5 Nennungen). Diese Haupt-Begriffe im Text und in ihren Kontexten chronologisch betrachtet lassen sich wie folgt beschreiben:


Graz

Zooming in.

Graz soll ein Spannungsfeld balancieren: Autark und dennoch federführend sein im internationalen Wettbewerb. Die Stadt ist ausgewogen und zugleich dynamisch; unabhängig und im Gleichgewicht; lebenswert, aber mobil.
Es gibt in diesem Zusammenhang wenig Bezug zu den Anliegen und das Alltagsleben der Bewohner*innen. Am Ende geht es darum, best practice zu sein, an der Spitze dieser Ideenpyramide steht Graz als ein Leuchtturm-Projekt. Die Stadt ist gesichert, schonend und ausgewogen. Da ist wenig Platz für Kontroversen. Für andere Ideen und Reibungspunkte.

Visionen

Kein neues Wachstum, keine Ausschreibungen, keine günstigen Gelegenheiten, um Geschäfte zu machen.

An der Spitze dieser Ideenpyramide steht die Wirtschaft. Die Gesellschaft bietet die Basis für die erfolgreiche Wirtschaft. Nicht umgekehrt. Vorherrschend ist ein mächtiger Leistungsbegriff. Menschen sind verführbar, für sie ist dieses Szenario anziehend, reizend, verlockend. Die Vision ist objektorientiert.

Mobilität

Immer in Bewegung sein.

Graz braucht grundlegend (Basis dieser Ideenpyramide) Energie für die wirtschaftliche Mobilität. Die Mobilität sichert die Durchführung von Aktivitäten. Und sie ist ein Teil von Gesellschaft, von Zusammenleben. In erster Linie aber (Spitze dieser Ideenpyramide) soll die Grazer Mobilität ein Benchmark sein, ein Vergleichsmaßstab.

Bürger*innen

Ohne Humor.

An der Basis stehen gestaltende Bürger*innen. Für sie sollen Funktionen zurückgeholt werden. Wenn die Bürger*innen die Vision – die die Politik bereits hat – erkennen, handeln sie zielgerichtet. Das Interesse ist eine Gestaltung im Sinne des Fortschritts. Sobald die Bürger*innen das (politische) Ziel erfasst haben (die Spitze dieser Ideenpyramide), wissen sie es im hohen Maße zu schätzen; dann wissen Sie die Vision Smart City Graz 2050 zu schätzen.


In der nächsten Szene, seid ihr nicht mehr die Demonstrant*innen, sondern unsere Verbündeten im Kampf gegen die Bösen.

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Szenario: Graz steht im Wettbewerb. Das ist insbesondere für die Entwicklung neuer Konzepte relevant. Dabei gilt es, wirtschaftlich zu visionieren und differente Felder zu integrieren. Interessant ist, dass der Beteilung der Stadt-Bewohner*innen (und der Einpendler*innen) in diesen Visionen relativ wenig Gewicht bzw. aktive Planungsoptionen zugesprochen werden, obwohl sie als Gestalter*innen gelten – allerdings nur in der Umsetzung, nicht in der Planung.

In der Definition der Europäischen Kommission für Smart Cities werden in einem Zusammenspiel von Öffentlichkeit, Industrie und anderen „interestet groups“ für die Schaffung von Innovationen explizit (u.a.) ein citizen focus und knowledge sharing genannt[13]. Aktuelle einschlägige Ausschreibungen beweisen einen entsprechend stärkeren Blick auf eine Kooperation zwischen Politik, Wissenschaft und Zivilbevölkerung; wenngleich es zumeist in diesen Projekten keine gleichgewichtetet Verteilung der Akteur*innen in der Konzeptionierung und Umsetzung gibt. Soziologisch bleibt immer zu fragen, wer von Innovationen profitiert und wer dabei verliert.

Da bekomm ich Gänsehaut.

Nun, das ist ein Blick auf ein spezifisches Projekt. Wie sieht es darüber hinaus mit politischen Visionen für Graz aus? Die Stadtregierung hat ein Zukunftsprogramm foruliert, die „Agenda Graz 22“. Darin ist zu lesen, wie in Graz gelebt werden soll. Es zahlt sich also aus, auch dahin einen Blick zu riskieren. Auf der Agenda stehen 13 Themenfelder[14]. Eines davon soll abschließend noch kurz beleuchtet werden: Bildung und Familie.

Was ist an einer Lederhose gemütlich?

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Für die Familienpolitik in der Agenda Graz 22 spielt Frauenpolitik keine Rolle. Dass Mehrfachbelastungen – der Corona-Lockdown hat es ein weiteres Mal deutlich gemacht – immer noch hauptsächlich Frauen zu tragen haben, ist keine Neuigkeit. In der Agenda Graz 22 wird das nicht thematisiert. Wohl geht es u.a. um Kinderbetreuungsplätze, um Schulinfrastruktur, digitale/urbane Schule, Talenteförderung – und generell um Graz als die Stadt der Bildung; aber wie Frauen im Aufgabenbündel Erwerbsarbeit, unbezahlte Care- und Hausarbeit bewältigen sollen, wird nicht besprochen. Ein weiteres Beispiel dafür lässt sich in der Rubrik „Soziales“ der Agenda finden.

„Wir wollen, dass ältere Menschen bestmöglich betreut werden. Grundsätzlich gilt der Vorrang der mobilen Pflege vor der stationären Betreuung. Zur Evaluierung und Verbesserung der Rahmenbedingungen wird eine Arbeitsgruppe „Pflege“ eingerichtet. Konkrete Modelle des „Generationenwohnens“ sollen verstärkt umgesetzt werden.“[15]

Der politische Ansatz, Pflege von älteren Familienanagehörigen wieder verstärkt in den häuslichen Bereich zu verlagern, trifft insbesondere Frauen. Auch wenn die Unterstützungsprogramme der mobilen Pflege suggestiv ausgebaut und zukünftig stärker monetär gefördert werden sollten, bleiben die alltäglichen damit verbundenen Anstrengungen bei den zumeist weiblichen Pflegenden/Angehörigen hängen. Das ist ebenfalls hinreichend belegt. Wichtig wäre es, diese Umstände in politischen Zukunftsvisionen aufzunehmen. Für eine aktive Frauenpolitik mit Visionen. 

Karin Scaria-Braunstein

 

[1] Bei diesen durch Einrückung und Kursivstellung markierten Zitaten handelt sich um Textpassagen aus Die Stadt der Rabtaldirndln (work in progress).

[2] https://www.kulturjahr2020.at/projekte/die-stadt-der-rabtaldirndln/

[3] Angelehnt an das Kulturjahr 2020 Motto: Wie wir leben wollen. Nur andersrum.

[4] https://smartcities.at/stadt-projekte/smart-cities/#projects

[5] Innerhalb der Periode 2010-2019 (11 Ausschreibungen)

[6] https://smartcities.at/stadt-projekte/smart-cities/#projects

[7] http://www.smartcitygraz.at/

[8] http://www.smartcitygraz.at/

[9] powered by Klima- und Energiefonds/smart energy fit4set

[10] http://www.smartcitygraz.at/more_vision-fuer-eine-smart-city-graz-2050/

[11] Die Analyse wurde anhand der Critical Method nach Kenneth Burke durchgeführt. Burke war ein US-amerikanischer Philosoph, Poet, Essayist, Literaturkritiker und –theoretiker, ein Autodidakt, der von enormer Schaffensfreude geprägt war. Burke, geboren 1897 starb 1993, sein bekanntester Nachlass sind die Dramatism-Theorie und das Pentad-Modell (später Hexad; act, scene, agent, agency, purpose, attitude). Burke wollte Ideologien und dessen Funktionen auf die Spur kommen, er war an Moralsystemen und am Einfluss der Sprache interessiert. Danach suchte er in der alltäglichen Simplizität und der beinahe unwahrscheinlichen Einfachheit, wie er es in etwa ausdrückte. Bei der Critical Method nach Kenneth Burke handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren. Burke geht davon aus, dass wir in Texten Symbolsysteme und Erfahrungsmuster ausfindig machen können, Ideenbilder lassen sich herausarbeiten. Der Text hat damit über das Offensichtliche hinausgehend immer noch etwas zu sagen, Wörter haben immer noch eine andere Bedeutung in ihrem Kontext. Bei einer Textanalyse wird 1. Das Indexing durchgeführt, das ist die horizontale Analyse, und 2. Das tracking of terms, die vertikale Analyse.

[12] Es gibt natürlich noch weitere. Hier wollen wir uns aber an den statistischen (meiste Nennungen) Top-Begriffen (Burke folgenden) orientieren.

[13] https://ec.europa.eu/info/eu-regional-and-urban-development/topics/cities-and-urban-development/city-initiatives/smart-cities_en

[14] Das sind die Themenfelder der Agenda 22: Klimaschutz; Starker Wirtschaftsstandort – vielfältige Arbeitswelt; Bildung und Familie; Mobilität und Verkehr; Maßvolle Stadtentwicklung; Sicheres, gepflegtes und sauberes Graz; Umwelt und Energie; Sport, Freizeit und Gesundheit; Kunst und Kultur; Integration und friedliches Zusammenleben; Wohnen; Soziales und Budgetpfad.

[15] Agenda Graz 22, S48.