Die Stadt der Rabtaldirndln :: Die Stadt der Frauen? Eine soziologische Begleitung. Blog1

Das Theaterkollektiv Die Rabtaldirndln haben ein Graz Kulturjahr 2020 Projekt eingereicht, um Graz zu retten. Und gewonnen[1]. Babsi, Bea, Gudrun und Rosi werden in Die Stadt der Rabtaldirndln gegen dunkle Männer-Mächte antreten.
 Ja, die Stadt ist in deep shit.

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Frauen sind in Graz deutlich in der Überzahl. Und sie werden älter als Männer.
In der aktuellen Stadtregierung sitzen aber 5 Männer und nur 2 Frauen[2].

Die 4 Frauen wurden zuletzt im Grazer Rathaus gesehen, Sie hatten einen Termin mit dem Bürgermeister[3].

Dabei passierte und passiert viel in Graz durch und für Frauen. Referat für Frauen und Gleichstellung. Gleichstellungsaktionsplan. Feministische Planung. Grazer Frauenpreis. Veranstaltungsreihe Die Stadt der Frauen. Beratungs- und Serviceeinrichtungen. Gut, an Aktualität mangelt es hie und da. Und auf die Projekte und Aktionen lässt sich durchaus ein kritischer Blick werfen.

Aber zunächst ein kurzer Abstecher[4] in die Historie:
(Erst) seit 1987 hat Graz eine weisungsfreie Frauenbeauftragte, initiiert von Bürgermeister Alfred Stingl. Graz war damit österreichischer Pionier auf diesem Gebiet[5].  1987 wurde der Grazer Frauenrat einberufen[6]. Da gab es noch gar kein Frauenhaus in der Stadt. Greta Schurz (geboren 1934 in Graz), erste Frauenbeauftragte, setzte sich dafür ein und trieb die Professionalisierung des Frauenrats voran. In der Tradition feministischer Bewegungen in der Steiermark schlossen sich unterschiedliche Interessensvertretungen (kirchlich, bürgerlich, liberal, sozial) zusammen und veranlassten zahlreiche Projekte durch und für Frauen in Graz. Frauen formulierten Forderungen, Resolutionen und Solidaritätserklärungen. Sie gingen damit in den öffentlichen Raum. Und protestierten[7]. Der Verein Grazer Frauenrat wird nach finanziellen Talfahrten und einigen Umstrukturierungen  heute von der Stadt Graz gefördert.

Heute Nacht, nicht morgen, nicht in einem Monat. Heute punkt 24:00 wird Graz die Stadt die wir kennen und lieben nicht mehr dieselbe sein.

2020 leben in Graz mit Hauptwohnsitz 149.017 Frauen[8]. Nach Alter ist die größte Gruppe jene zwischen 20 und 29 Jahren.  17.163 sind EU-Bürgerinnen aus anderen Ländern,  17.217 Nicht-EU-Bürgerinnen[9].  Bei Frauen liegt die Lebenserwartung in Österreich bei  83 Jahren[10]. Und sie sind bis an ihr Lebensende genderspezifischen Diskriminierungen ausgesetzt.

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Für die Grazer Frauen stehen laut Stadt Graz derzeit 27 Beratungs- und Serviceeinrichtungen zur Verfügung. Diese sind oft auf Zielgruppen spezialisiert, umfassen u.a. die Themen Gewalt, Migration, Armut, Ausgrenzung und Mädchenförderung[11].

Alles voller Hundescheiße. Die Wäsche kann man nicht mehr draußen aufhängen.

2012 unterzeichnete die Stadt Graz die Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene, seit 2015 ist der 2., fortlaufend evaluierte, Gleichstellungsplan gültig. Mit dem Gleichstellungsplan sollen 7 Handlungsfelder abgedeckt werden:

  1. Arbeit, Beschäftigung, Wirtschaft
  2. Kampf gegen Rollenstereotype
  3. Bildung
  4. Gesundheit und soziale Sicherheit
  5. Gleichberechtigter Zugang zu Dienstleistungen und Förderungen
  6. Sicherheit und Schutz vor Gewalt
  7. Interne Gleichstellungsförderung

Die Stadt Graz bilanziert freudig: von 124 Maßnahmen konnten 103 umgesetzt werden[12].

Es gibt keine Grünräume. Man kann nicht atmen.

Seit 2019 zählt die Grazer Gastronomieszene über 30 „Luisa-Lokale“. Wenn Mädchen und Frauen sich in Bedrängnissen oder unangenehmen Situation befinden, fragen sie beim Personal: „Ist Luisa da?“ und erhalten sofort Hilfe[13].

Zur Nachlese einschlägiger Literatur rund um das Thema Gleichstellung listet die Stadt Graz unter „Frauenliteratur“ umfangreich Literaturbeträge auf. Der aktuellste Beitrag stammt allerdings aus dem Jahr 2015.
Doch die Problematik bleibt aktuell. Weiterhin sind Frauen besonders von prekären Arbeitsverhältnissen und Armut, insbesondere Altersarmut betroffen. Die Armutsgefährdungsquote liegt bei Frauen laut EU-SILC2017 ab 20 Jahren bei 14% und damit um 2% höher als bei Männern[14].
Und immer wieder werden in Graz neue Projekte für und durch Frauen präsentiert. Schwerpunktthemen sind (nach wie vor) Gewalt(-Prävention) und Berufsförderung.

Blicken wir näher auf diese Projekte, dann zeigt sich, dass „verdienstvolle“ Frauen besonders oft ins Rampenlicht der (medialen) Aufmerksamkeit gerückt werden[15]. Das beginnt mit der Bezeichnung „Powerfrauen“[16], etwa im Statistik Buch Graz 2019 für Barbara Rauscher und Verena Ennemoser[17]; und es führt sich fort im Grazer Frauenpreis „für herausragende Frauen und Projekte“, mit dem „Ziel,  Projekte zu würdigen, die feministische und frauenpolitische Anliegen vertreten und die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit verfolgen.“[18]

Es gibt wichtige Dinge zu besprechen.

Die Frauen-Initiativen spannen sich jedoch weiter auf und umfassen auch den Lebens- und Sozialraum Graz. Im März 2019 wurde die Veranstaltungsreihe (in Form von Kurzvorträgen und Diskussionsrunden) Stadt der Frauen – Kritik an der männlichen Stadt unter Mitwirkung von Politik, Stadtbaudirektion, Architektur und Stadtplanungsamt im Haus der Architektur gestartet[19]. Ausgangspunkt ist die Kritik, dass Stadtplanung nach wie vor männlich dominiert ist[20].

„Der Anspruch, eine Stadt für Frauen zu planen, ist der langfristige Anspruch, eine Stadt für alle BewohnerInnen zu planen, denn eine Stadt für Frauen ist eine Stadt für Kinder, ist eine Stadt für junge und alte Menschen, ist eine sichere Stadt. Es ist eine menschliche Stadt.“[21]

Und mit der Corona-Krise wurde auch der Blick auf Frauen verlagert. Weiter weg  von den außergewöhnlichen Leistungen von Frauen – außergewöhnlich in einer nach wie vor (und trotz aller bisherigen feministischen Errungenschaften) patriarchalen Gesellschaftsordnung – hin zu den alltäglichen Anstrengungen von Frauen, die sich als „systemrelevant“ entpuppt haben.

Was soll die Demonstration da draußen?

Am 08. Juni 2020 fand die Online-Diskussion „Viel beklatscht, schlecht entlohnt“ des Referats Frauen & Gleichstellung der Stadt Graz statt[22]. Wenige Tage später, am 12. Juni 2020 zog die Demo „F*Streik Graz“ des unparteiischen Feministischen-und Frauen*Streiks Graz durch die Straßen, um auf die unbezahlten Arbeiten von Frauen aufmerksam zu machen.

In der aktuellen Stadtregierung sitzen aber 5 Männer und nur 2 Frauen.

Karin Scaria-Braunstein

Die Rabtaldirndln – Die Stadt der Rabtaldirndln: https://dierabtaldirndln.wordpress.com/ 

 

[1] Siehe: https://www.kulturjahr2020.at/projekte/die-stadt-der-rabtaldirndln/ (14.06.2020).

[2] Im aktuellen Grazer Gemeinderat sind 27 Männer und 21 Frauen zu abzuzählen. Eine entsprechende statistische Auswertung ist nicht abrufbar. Siehe: https://www.graz.at/cms/beitrag/10205181/7768104/Gemeinderat_Mitglieder.html (14.06.2020).

[3] Bei diesen durch Einrückung und Kursivstellung markierten Zitaten handelt sich um Textpassagen aus Die Stadt der Rabtaldirndln (work in progress).

[4] Mehr als das kann es in diesem Rahmen nicht sein.

[5] Der „Allgemeine Österreichische Frauenverein“ wurde bereits 1893 gegründet. Zwischen 1850 und 1911 waren in Graz bereits 30 Frauenvereine angesiedelt. 1893 konstituierte sich beispielsweise der Erste Grazer Radfahrerinnenverein, der nicht nur symbolisch als wichtiger Motor der frühen Frauenbewegung gilt. Vgl. Schmidlechner et al. 2017., Die Steirerinnen im Spiegel der Gesellschaft., S. 207f.

[6] Erst 2 Jahre später, 1989, wird durch die Sexualstrafrechtsreform Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung in der Ehe /Lebensgemeinschaft strafbar.

[7] Siehe: Geschichte der Unabhängigen Frauenbeauftragten & des Grazer Frauenrats, https://grazerfrauenrat.at/fb/frauenbeauftragte/die-geschichte-des-grazer-frauenrats (14.06.2020).

[8] Inklusive Nebenwohnsitz wohnen 167.881 Frauen derzeit in Graz. Siehe: http://www1.graz.at/Statistik/Bev%C3%B6lkerung/aktuelles_quartal.pdf (14.06.2020).

[9] Das sind laut aktuellem Quartalsbericht 26.839 Frauen. Siehe: http://www1.graz.at/Statistik/Bev%C3%B6lkerung/aktuelles_quartal.pdf (14.06.2020).

[10] Siehe: Statistik Buch 2019 Stadt Graz. https://www.graz.at/cms/beitrag/10104210/7749761/Statistiken_der_Landeshauptstadt_Graz.html (14.06.2020).

[11] Siehe: https://www.graz.at/cms/beitrag/10012532/7765258 (14.06.2020).

[12] Siehe: https://www.graz.at/cms/beitrag/10304552/7770531/Unser_Gleichstellungsaktionsplan.html (14.06.2020).

[13] „Luisa ist da“ wurde von der Frauenstadträtin Judith Schwentner in Zusammenarbeit von der Beratungsstelle TARA und Robert Rötzer, der Wirtschaftskammer Fachgruppe Gastronomie und dem Referat Frauen & Gleichstellung der Stadt Graz ausgearbeitet und realisiert.  Siehe: https://www.graz.at/cms/beitrag/10334215/8106444/ (14.06.2020)

[14] Siehe: Armut in der Steiermark – eine Bestandsaufnahme, 2018, S. 19.

[15] Solche Initiativen werden oft mittels Heldinnen-Abbildungen symbolisiert. Siehe beispielsweise „Grazer Frauenpreis“.

[16] Selten noch war von „Powermännern“ zu lesen.

[17] Erstere leitet das Referat für Statistik Graz, letztere die übergeordnete Präsidialabteilung. Siehe: Statistik Buch 2019 Stadt Graz. „Die zwei Hüterinnen des Grazer Zahlenschatzes“, S. 6.  https://www.graz.at/cms/beitrag/10104210/7749761/Statistiken_der_Landeshauptstadt_Graz.html (14.06.2020).

[18] Würdigung herausragender Frauen und Projekte. https://www.graz.at/cms/beitrag/10341748/7753526/Grazer_Frauenpreis.html (14.06.2020).

[19] Siehe: https://hda-graz.at/programm/stadt-der-frauen (14.06.2020). Bislang ohne soziologischen Beitrag.

[20] Darauf wird in den nächsten Blog-Beiträgen noch näher einzugehen sein.

[21]Haus der Architektur,  https://hda-graz.at/programm/stadt-der-frauen-sag-mir-wo-die-frauen-sind (14.06.2020).

[22] Siehe: https://www.graz.at/cms/beitrag/10351462/7770549/Online_Diskussion_zu_Frauengehaeltern.html (14.06.2020).