THE MEANINGFUL OBJECT: FËST– Teil II

In FËST laden Die Rabtaldirndln in ihren Tempel ein. Eine geweihte Stätte, in der sie einmal wöchentlich fidel feiern, und das kann manchmal schon auch gehörig schief gehen. Denn das feministische Kollektiv lässt sich gerne dort nieder, wo das Patriachart an der Kippe steht.

Wo es unter der Oberfläche brodelt.

Und in der Mitte des Tempels steht ein Pfosten.

Mit dem Hoftheater Hainersdorf haben die Künstlerinnen einen besonderen Raum zur Verfügung. FËST ist die dritte Performance, die hier dem (hauptsächlich lokalen) Publikum offenbart wird, es ist für das Off-Theater-Ensemble ein bedeutungsvoller Ort, ihr »Haus«, wenngleich es formal Gudrun gehört.

Aber „[d]as »Haus« der Gemeinschaft ist nun nicht in dem Sinne des bloßen Besitzes gemeint, wie sie auch ein zweites oder ein Stück Land als juristische Person besitzen kann; sondern als die Lokalität, die als Wohn- oder Versammlungsstätte der räumliche Ausdruck ihrer sociologischen Energien ist.“ (Simmel 2016: 210)

Mit diesen Energien arbeitet das Kollektiv unter der Regie von Ed. Hauswirth (siehe auch: Eine kurze Geschichte der Probenzeit: FËST – Teil I) an der Frage, woher Gemeinschaft kommt, wohin sie geht, wie sich Werte und Macht manifestieren und Zusammenleben trotzdem neu gedacht werden kann. Dass dafür räumliche und symbolische Aspekte wichtige sind, verdeutlicht sich intuitiv in der Gestaltung des Stücks.

Der Pfosten, The Meaningful Object; er steht dem Bühnenraum in Mitten. Nüchtern physisch betrachtet handelt es sich bei dem Raum um eine Hofdurchfahrt mit Anschluss an das ehemalige Stallgebäude des revitalisierten Hofs in der Oststeiermark. Der Pfosten erfüllt dem Duden entsprechend ein: „senkrecht stehendes, rundes oder kantiges Stück Holz besonders als stützendes, tragendes Element“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Pfosten) zu sein.

In den ersten Proben, die in Graz (TiB) stattfinden, muss ein provisorischer Pfosten stellvertretend aufgestellt werden, der sich als keineswegs stützend erweist. Er fällt krachend um. Gudrun macht sich Sorgen um die Sicherheit, Ed. hält es für eine gute Übung, denn das erfordert Aufmerksamkeit.

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Von Beginn an wird FËST rund um den Pfosten komponiert. Er dient sinnbildlich der Vertiefung, hinein in die Vergangenheit einer Gegend, der Erkenntnis über die topografische Anatomie und über das soziale Erbe. Über den Pfosten definieren sich Nähe und Distanzen im Stück, zwischen den Performerinnen, der Vergangenheit, Gegenwart und der Zukunft sowie die Ausrichtung der visuellen Projektionen. Ed. verlangt Konzentration auf den Raum, eine Zentrierung auf den Pfosten und auf die Art, ihn zu berühren (Probe Hainersdorf, 10.06.2019).

Der Pfosten durchbricht die Raumdiagonale, schafft soziale Ordnung(en). „In der Art, wie der Raum zusammengefasst oder verteilt wird, wie die Raumpunkte sich fixieren oder sich verschieben, gerinnen gleichsam die sociologischen Beziehungsformen der Herrschaft zu anschaulichen Gestaltungen.“ (Simmel 2016: 209)

Der Pfosten stilisiert den Maibaum in der Walpurgisnacht der Rabtaldirndln, ermöglicht einen rauschenden Bandltanz. Renate (vulgo Babsi) gräbt anhand des Pfosten in der Geschichte des Raums. Sonja (vulgo Rosi) durchlebt einen weiblichen Kreuzweg und verlautbart die Werte der Gegend, am Pfosten stehend. Marianna (vulgo Gudrun) verliest dort die Leviten. Toni (vulgo Bea) verwandelt sich an ihm zum dämonischen Urweib und findet sich hiernach an ihn angebunden, auf ihre Strafe wartend. Dort empfängt sie die Oden an den Vater und hängt schließlich die Maske des Patriacharts an den Nagel, der im Pfosten steckt.

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„Der Pfosten ist heilig“ (Ed., Probe Hainersdorf, 10.06.2019). Er ist von Menschenhand geschaffen.

„Darum hat man auch mit Recht hervorgehoben, daß der Kultus von Pfählen und Steinen, die Menschen hergerichtet haben, zwar unpoetischer und scheinbar roher ist als die Verehrung einer Quelle oder eines Baumes, daß aber in Wirklichkeit das erstere eine vertraulichere Nähe zwischen Gott und dem Gläubigen einschließt. (…) wenn er [Gott] aber einwilligt, in dem Werke von der Hand eines Menschen zu wohnen, so ist damit eine ganz neue Beziehung beider geknüpft, das Menschliche und das Göttliche hat eine gemeinsame Stätte gefunden, die eben beider Faktoren bedarf, das sociologische Verhältnis des Gottes und seiner Verehrer hat sich in einem räumlichen Gebilde investiert.“ (Simmel 2016: 211)

So ist der Pfosten in FËST aber auch vor allem Ausdruck für Tradition, eine Ordnung des Patriacharts, dessen Teil wir alle sind, an das wir uns gebunden wähnen. Wie jedoch Die Rabtaldirndln am Ende in ihrer eigenen Sprache von einem Matriarchat visionieren, verliert The Meaningful Object an Bedeutung. Der Pfosten wird zurückgelassen.

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Karin Scaria-Braunstein

Simmel, Georg (2016): „Über räumliche Projektionen socialer Formen“. In: Kramme, Rüdiger/Rammstedt, Angelika/Rammstedt, Otthein (Hrsg.) Aufsätze und Abhandlungen, 1901-1908, Band1. 3. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Gesamtausgabe Band 7), S. 201-220.