Und dann bat er mich, hinter dem Lenkrad Platz zu nehmen – Ein Taxiprojekt als Irritation der Intimität

Die Lust an der Möglichkeitsversuchung hat sie dazu gebracht, das Taxi neu zu interpretieren. Das Konzept beweist sich in seiner unvorhersehbaren Dynamik: Grazer Taxifahrer*innen führen in seelische und örtliche Gegenden, die wir so nie kennengelernt hätten. Ein Kunstwerk, das immer wieder zum nächsten Mal entsteht.

„Hier war ich noch nie“ reift schon seit einigen Jahren heran, erzählt mir Gabriela Hiti, als wir uns zusammenschwatzen in einem Wohlfühlcafé. Gemeinsam mit Helmut Köpping wurde das Projekt im Rahmen des steirischen herbst nun auf die Straßen gebracht. Es nährt sich von Kontrasten und Herausforderungen – und hat schließlich alle überrascht.

Insgesamt 6 Taxifahrer*innen laden in ihre vierrädrige Arbeits- und Erlebnisstätten ein. Wie diese Taxifahrt verlaufen wird, erlaubt keine Vorhersage. Als Soziologin verorte ich mich berufskrank sofort in einem Krisenexperiment. Alle taxifahrtüblichen Kommunikationsstrategien werden über Bord geworfen, die Macht der Zielbestimmung obliegt vordergründig den Gastgeber*innen. Nach jeweils ca. 50 Minuten, die ich mit drei mir davor noch unbekannten Menschen auf knapp 3m² verbrachte (Taxifahrer*in und 2 weitere Fahrgäste), schwirrt mein Kopf voll audi-visueller Eindrücke und Emotionen.

Es galt hervorzubringen, was die Taxifahrer*innen in mannigfaltiger Weise schon mitbrachten, in der beispielgebenden Wechselseitigkeit zwischen Privatheit und Beruf(ung). Der künstlerische Wert des Projekts erwächst in der Praxis der Imagination. Was ist denn ein künstlerischer Wert, frage ich Gabriela: „Wenn bei  den Rezipient*innen eine Resonanz ausgelöst wird. Das kann verschieden sein. In den Momenten, in einer Berührung, das ist nicht vorhersehbar.“

Ich lerne einen türkischen Dichter und Romancier, einen leidenschaftlichen Musiker und Entertainer sowie einen Urphilosophen kennen,  erfahre von Schicksalsschlägen und zwischenmenschlichen Kuriositäten, werde besungen, lausche träumerischen Versen und besitze kurzzeitig den Fahrer*innenplatz. Beeindruckt bin ich von Tiefe und Intimität der sich evozierenden Gespräche.

Es ist gerade das sozial-politische Bewusstsein, das sich unbezahlbar in den Wissensbeständen der Taxifahrer*innen Bahn bricht. Sie erzählen von Zuneigung und erfahrener Ablehnung, von facettenreicher Liebe, Hass und Politik. Über viele Jahre beobachten sie Tag für Tag, Nacht für Nacht diese wachsende Stadt, vermerken jede bauliche Veränderung, erkennen strukturelle Prozesse und verknüpfen sie miteinander. Abbruchhäuser, wirtschaftliche Fehlinvestitionen, sprießende Religionsstätten, das pulsierende Rotlichtmilieu…, nichts bleibt verborgen.

Die Routen entstehen im Verlauf der Projektgestaltung  in einer Ausverhandlung  und konstituieren sich weiterhin lebendig in der Umsetzung, in der Konfrontation der Menschen, die aufeinandertreffen, durch die Erkenntnisse der Taxifahrer*innen und ihrer Fahrgäste. Zu Beginn waren erstere noch voller Zweifel gewesen, wie das Projekt funktionieren könnte. Das liegt, so Gabriela, an der Besonderheit des Gewerbes, das von Konkurrenz geprägt ist. Auch diesbezüglich verzeichnet sich Veränderbarkeit:  Taxifahrer*innen werden im Projektverlauf zunehmend aufmerksamer und neugieriger, wollen auch von den Geschichten der Kolleg*innen naschen.

Dieses Kunstprojekt ist ein Projekt künstlerischer Alltagspraxis. Es verdeutlicht, wie Kunst durch das Leben entsteht und sich im Leben manifestiert, in Bewegung bleibt und Neugierde schöpft. Entblättertes Wissen, erprobte Irritation, veröffentlichte Intimität. Damit – Gabriela unterstreicht es doppelt  – werden Vorurteile abgebaut.

Karin Scaria-Braunstein