Ein Spätsommertag im Grazer Augarten, die Sonne zeigt sich von ihrer strahlenden Seite. Aufbruchstimmung liegt ebenso in der Luft wie eine ruhende Kraft, was sich in diesem Zusammenhang nicht notwendigerweise widerspricht. Denn rasch wird klar, dass ein Gespräch mit Thomas Sobotka eine Schule zur Infragestellung von Grenzen und Gegensätzen sein kann. Ganz besonders natürlich, wenn dieser über Theater im Allgemeinen spricht und noch deutlicher, wenn vom Theater als eine Interessengemeinschaft die Rede ist.
Die Bombe ist mittlerweile geplatzt, die Off-Szene in Graz, das Theaterland Steiermark, wird nur noch einer t’eig Produktion beiwohnen können. Am 9. November ist es aus, aus mit fAUSt. Unnachahmlich und beispielhaft zeigt sich hier ein immer wiederkehrendes Motiv der t‘eiger, das einen dekonstruktiven Zugang im Hinblick auf die Titelwahl markiert. Tschechwos „Drei Schwestern“, zum Beispiel, gestalteten die t‘eiger bereits zu einem WESTERN um, eine Bedeutungsverschiebung, ein Ausloten von Grenzen, um gleichsam Zwischenräume, Nischen zu öffnen; auch ein t’eiger Wesenszug.
„Wir wollten nie wiederholen, was funktioniert“, heißt es deshalb auch konsequent im offiziellen Pressestatement zum Ende und zur Auflösung des Theatervereins. Wer in der Wiederholung die Wiederkehr des Gleichen finden will und ebendeshalb sucht, verkennt das in jeder Wiederholung präsente verändernde Kraftpotential. Die Wiederholungspraxis stellt nicht bereits Gelebtes neu her, sondern verändert in der Wiederholung das ursprüngliche Ereignis. Eine Funktion soll infolgedessen nicht die Effizienz einer Strategie steigern und somit Erfolg stabilisieren, sondern alternative Bedeutungsschichten freisetzen und somit Sicherheit destabilisieren.
‚Information overload‘ im t’eig-Raum
Theater muss sich ständig neu erfinden, mit seinen eigenen Mitteln, aus sich selbst heraus, legt Sobotka sein Selbstverständnis dar. Aus dem Grundprinzip der Überforderung gilt es bisher Unzugängliches, Undenkbares, Unsagbares wach zu rütteln, sich selbst und seine Beziehung zur Welt dadurch neu denken zu lernen. ‚Information Overload‘, wie Sobotka die ständige Tendenz zur Überforderung nennt, ist darüber hinaus als elementarer Baustein des theater t’eigs aufzufassen. Diesem Grundgedanken folgend, entwickelt das Kollektiv mit einer ‚poetischen Gebrauchssprache‘ (Sobotka) Theaterprojekte, die zwischen sämtlichen Formen des darstellenden Spiels changieren und sich nicht auf Bestehendes oder selbst Erreichtes reduzieren lassen. Entlang der Trias Stück-Raum-Ensemble konstituieren sich alsdann diese Arbeiten. Ganz besonders im Raum, geradezu essentiell ist er, der Raum. Denn zweifelsohne weiß jedermann und jederfrau, der oder die bereits eine Inszenierung hautnah erlebt hat, um die wesentliche Bedeutung des Raumkonzepts für die spezifische Wirkung und Rezeption von t’eig. Gestützt ist diese Beobachtung zudem durch die Tatsache, dass t’eig sozusagen keinen institutionalisierten Raum sein Eigenheim, seine Spielstätte nennen kann oder vielmehr will, und auch nicht über fixe Proben- und Aufführungsräumlichkeiten verfügt. Das ist der Preis oder vielmehr die Notwendigkeit, um wahrlich frei agieren zu können; der leere Raum, um Peter Brook zu paraphrasieren, wird erst durch t’eig zum Theaterraum.
Wie entsteht ein t’eig-Projekt? Ist dieses durch gesellschaftspolitische Ereignisse oder durch biografische Erlebnisse motiviert, stelle ich im Anschluss meine vorab ausgearbeitete Frage. Sobotka antwortet durchwegs engagiert, mit Leidenschaft und Humor, man merkt und spürt, dass er sich in seiner Position im Frage- und Antwort-Spiel sichtlich wohl fühlt. Neben der bereits angeführten Trias, erachtet Sobotka das Aufspüren von ambivalenten Stoffen als Bedingung für ein erfolgreiches t’eig-Projekte; hinsichtlich der Charaktere und speziell hinsichtlich deren Netzwerkkonstellationen. Diese In-Szene-Setzung von Stoffen gelingt nur über die gezielte Konfrontation des Textes mit der persönlichen Lebenswelt der jeweiligen Schauspieler*innen. Im Rahmen der Proben entwickelt sich insofern eine gemeinsame Sprache, die erst durch die aktive Aneignung des Stoffes gelingen kann. Nur wenn die inhaltlichen Dimensionen der Textvorlage mit der eigenen Biografie interagieren, ist das Fundament geschaffen für eine t’eig-Inszenierung. „Theater muss immer Forschung sein, keine Bestätigung des status quo“, so Sobotka weiter. Wenn Theater lebensverändernde Kräfte freisetzt, sowohl in die Weltbeziehung der Darsteller*innen und Zuseher*innen hineinwirkt oder aus dieser Theaterrelevantes ableitet, nur dann ist es gutes Theater: „Ich mag kein Verkleidungstheater, das ist nicht mein Ding“, unterstreicht Sobotka.
Aus mit fAUSt
Und nun der fAUSt als Abschluss der t’eiger, weil der Seelenverkauf brisant und hochaktuell ist, in einer Zeit, die ihre Räume blasenförmig ausdehnt. Die eigentliche Frage liegt wiederum in der Bedeutungsverschiebung; nicht nach dem instrumentellen Mehrwert gilt es fragen, sondern wann es die Blasen nicht mehr gibt. Wenn der aktuelle Diskurs durch ein allgegenwärtiges und übergreifendes Kreativitätsdispositiv (Reckwitz) getragen wird dann zeigt sich wahre Größe in der Oppositon dazu.
Jede Inszenierung als Bruch mit der letzten, keine Wiederkehr des Erfolgreichen, die konsequente Infragestellung von Gewissheiten und die konsequente Neuerfindung des theater t’eig selbst, ist etwas, das sicher nicht zu ersetzen ist durch andere Projekte. Aus heißt es für ein großes Theater, ein polarisierendes, reflektierendes und experimentierendes, vor allem konsequentes Theater, das gerade durch diese Entscheidung wahre Größe und Konsequenz beweist. Man muss diesen Weg nicht vorexerzieren und dadurch die Interpretationen beeinflussen oder gar mitlenken, man muss nur zurückblicken auf außeralltägliche, intensive Theatererlebnisse, um resümieren zu können, dass hier und jetzt Große gehen. Die, die zurückbleiben (werden) in der Szenerie, sie sind es, die bemerken werden, dass die sich bildende Lücke, Lücke bleiben wird.
Die t’eiger – davon ist ohne Zweifel auszugehen – werden aber auch anderweitig unorthodoxe Wege gehen und in anderen Formaten und Formen das Theater bereichern und in diesem Kosmos fortwirken. Und Sobotka selbst natürlich auch; wer bereits am Schauspielhaus mit der Berufsbezeichnung ‚Regieassistenz mit Spielverpflichtung‘ tätig war, wird uns auch in Zukunft zu überraschen wissen. Auf seine ganz spezielle, t’eiger Art: konsequent, umtriebig, innovativ.
Danke und bis bald!
fAUSt, Premiere 8.11.2018, 20 Uhr, Albert Schweitzer Center 49
Karten und Termine:
http://www.theater-teig.at/index.php?page=karten
Raffael Hiden