Die Rabtaldirndln-Probe mit Beobachtung

An einem zur Hochtranspriration antreibenden Spätsommertag 2018 treffen sich Die Rabtaldirndln nach Pause mit Regisseur Ed. Hauswirth zur Probenwiederaufnahme. Zwei Hunde (jugendlich und altertümlich) und ich dürfen beiwohnen. In der TiB-Bar wird Espresso stilecht in einem metallenen Kaffeekocher offeriert. Im Mittelpunkt steht für mich der Schaffensprozess; den Inhalt des Stücks verhalte ich indes verzückt.

Der Prozess ist schnell, wechselhaft, aber zu keiner Zeit getrieben. Hier arbeiten aufeinander eingespielte Menschen, unter denen es innewohnende Verständigung gibt. Nichts muss kommentiert, alles kann disputiert werden. Gedanken und Wörter füllen den Raum, Stimmungen werden erzeugt, abgebrochen, neu geschaffen. Nicht alle Bemerkungen werden aufgegriffen, aber auch auf keine reklamiert. Mit einem Ortswechsel (von der Bar zur Bühne) transformiert sich die Art der Probe.

Stoff-Behandlung

Die Anknüpfung an ein gemeinsam erarbeitetes Interview-Material eröffnet den Kreativitätsreigen, der sich zunächst über etwa eine Stunde in einer mündlichen Ausverhandlung  gestaltet. In einem gedanklichen Rückblick fallen lose Schlagwörter; durchaus bereits vermischt mit Umsetzungsideen, wie sich mir später offenbart.

Eine brisante Erkenntnis: die Stoffbehandlung selbst unterliegt keiner Systematisierung und strukturiert sich aus dem Material und dem Austausch darüber implizit schließlich von selbst.

Ed. führt eine unkomplizierte Methodik ein, die an die Erfahrungsebene adressiert, das Interview mittels Erinnerungen daran, Notizen und anhand persönlicher Verknüpfungen zergliedert und es textlich schnell aufbereitet. Die Gedanken werden schriftlich festgehalten und später praktisch erprobt. Arbeitszuweisungen erfolgen ohne explizite Aufforderungen.

Sprach-Spiel

Von einem Sprach-Spiel (in Anlehnung an die Tiefenhermeneutik) kann gesprochen werden. Wobei es immer wieder zu betonen gilt: „ich tu‘ einfach mal dahin“. Aus dem Material entspinnen sich umfangreiche gesellschaftlichen Lebensdimensionen: Emotionalität, Konkurrenz, Körperlichkeit, Wirtschaft, Gesetz, Digitalisierung, Religion, Nahrung, Tod. Die Dimensionen und Perspektiven schwirren durcheinander; scheinbar zufällig werden sie im Laufe des (weitgehend) unmoderierten Sprechens filigraner, feingliedriger, lokaler. Dabei fällt unvermeidbar ab und an etwas unter den Tisch.

Selbst-Regulierung

Die ethische Frage ist nicht nur entlang des Stoffs auszuverhandeln, sondern wird von Ed. und den Die Rabtaldirndln in dieser Arbeitsphase im Sinne einer Selbstregulierung automatisch durchgeführt, oftmals im Zuge eines Monologs. In einer Zuspitzung und Übertreibung einzelner  Textelemente werden die inhaltlich-alltagsweltlichen und zugleich die moralischen Grenzen gezogen („jetzt wird’s gemein“). Inhaltich war – passend – gerade noch im weiteren Sinne von Foucaults Gouvernementalität die Rede.

Ed konstatiert: „Das wird zynisch von selbst.“

Material-Sammlung

Gleichsam nebenher erlangen die  Dimensionen den Grad der thematischen Verknüpfung. An dieser Stelle wird Richard David Brecht in die Runde geworfen, philosophische Strophen zitiert. Ed. hat Zeitungsartikel mitsich, sie werden heute jedoch nicht zum Thema gemacht. Barbara erzählt von einer Fernsehserie bzw. einem darin vorkommenden Dialog, der sich in das Stück fügen kann. Nachher wird Ed. ein Buch darreichen, dessen Inneres eine Demarkation darstellen soll.

Es gibt bereits Bausteine, die erweitert, aufbereitet, zusammengesetzt werden. Die Möglichkeiten der Zurverfügungstellung diverser Unterlagen werden kurz debattiert, eine zufriedenstellende Lösung ist sogleich gefunden.

Bühnen-Zeit

Die Schnelligkeit der Umsetzung verblüfft mich. Persönliche Erlebnisse und Beziehungen werden beständig eingewoben, ganz selbstverständlich aus einem Teil der Spielerinnen zum Teil des Spiels.

Was in der rein gedanklich-sprachlichen Episode noch zugegen war – die Selbstregulierung – fällt in der Bühnen-Episode gänzlich weg. Die Möglichkeiten und Ideen werden vollständig ausgeschöpft. Und zugleich stellt Ed. fest (nachdem er Die Rabtaldirndln zu einer Bühnenanordnung aufgefordert hat): „Wenn nichts passiert, passiert nichts“.

Der sich aus dem Sprach-Spiel entwickelte Text wird von den Rabtaldirndln unter großer gegenseitiger Aufmerksamkeit interpretiert. Barbara, erfreut: „Das war ein guter Trick“; Rosi improvisiert; Ed. entwirft bereits laut mögliche Bühnen-Umsetzungen.

Der Text hat seine letzte Berechtigung jedoch noch nicht erlangt, könnte sich aber zu einem Prolog heranwachsen.

Kunst-Artefakte

Womit unvermittelt Artefakte ins Zentrum der Debatte drängen. Zwei derer stehen in der engeren Wahl, bedürfen jedoch einer Beschaffung – und damit einer künstlerischen und ökonomischen Argumentation. Ed. plädiert unter Verweis auf den Spielgestus und die künstlerische Dimension für ein Entweder-Oder, mit deutlicher Präferenz, Rosi möchte das noch nicht so schnell entschieden wissen; Bilder der Umsetzung sind im Kopf bereits herangereift.  Das Internet und persönliche Kontakte werden wie Orakel befragt. Schließlich wird festgelegt, dass es einer gründlicheren Prüfung bedarf, und die Entscheidung vertagt.

Bühnen-Zeit-Die Zweite

Ruckzuck zurück zum Inhalt, neues Material. Ein von Barbara aufbereiteter Musiktext wird von ihr rezitiert; Ed. ordnet gekonnt Rosi und Gudrun in die Szenerie ein, alle finden unverzüglich ihren Platz. Es greift von selbst ineinander: der Text, die Intonation, die Stimmung, ein Gesamtbild. Eds. Anweisungen kommen konkret, platziert und aus der Hüfte. Die Rabtaldirndln setzen blitzschnell um; mimisch, gestisch, sprachlich. Gudrun brüllt. Rosi hat die Faust im Mund. Die Ideen werden einfach ausprobiert.

Die Szene wird verbunden mit dem Text aus dem Sprach-Spiel, der sich wiederum in seinen Dimensionen verknüpft hatte. Eines findet das Andere.

Es sind 2 Stunden vergangen, in denen unheimlich viel geschöpft wurde; Möglichkeiten, Ideen, Fragmente, die sich noch weiter auf ihren Weg machen werden.

Karin Scaria-Braunstein