Eins steht fest: Im Sommer muss man nicht nach Salzburg, um ein Theater zu erleben, dessen Inszenierungskonzept vordergründig von der interpretativen Regiebearbeitung des Stoffes lebt. Kein Neuenfels, kein Castorf ist nötig, das Ensemble oder besser: die t’eiger stehen für eine ganz spezielle und sich kontinuierlich verfeinernde Dramaturgie. Sie haben sich mittlerweile das, was sie mit den sogenannten großen Theatermachern teilen, erspielt: Wiedererkennungswert.
Im Wesen dieser Sache liegt natürlich eine Dialektik, die darin, abhängig von der eingenommen Perspektive, entweder Vorteile oder Nachteile sichtbar werden lässt. Wir wollen die Vorzüge herausstreichen, denn diese überwiegen; zuallererst ist t’eig selbstentlarvend, radikal, suchend, ein Theater der Selbstreferenzialität. Verwischt werden dabei die Grenzen zwischen Figur und realer Person, stets werden die Wechselbezüge zwischen Schauspiel und Leben in actu thematisert, das kennt man von Yael Ronen und anderen. „Was macht man, wenn das Schauspielhaus im Sommer Pause macht?“, fragt der dem dortigen Ensemble angehörige Oliver Chomik. Selbsterklärend.
T’eig hat aber noch eine entscheidende Erweiterung in der Selbstbeobachtung zu bieten, die eben darin besteht, den Spieltext stets auch mit den schauspielenden Personen zu verweben. Das heißt, die t’eiger spielen den Text nicht vor, sondern befragen den Text in Bezug auf ihr ganz persönliches Leben. Sie reflektieren somit im Spiel praktische Implikationen des Skriptums auf die subjektive Lebenswelt. Auch das kennt man, insbesondere von René Pollesch und dessen Diskurstheater. Aber ja, das kann nur wirkungsmächtig sein, wenn das Ensemble diesen außergewöhnlichen Anforderungen gewachsen ist. Und auch das ist es, ganz besonders die Frauen strahlen hervor.
Mona Kospach und Karin Gschiel bilden eine Art „expressive Totalität“, um es mit Louis Althusser zu sagen: durch sie formiert sich um sie herum ein Theatererlebnis, das nicht nur auf Grund der neuerlich gewagten Räumlichkeit von der Regel abweicht. Das Publikum findet sich am Schlossberg ein, oben, in der Uhrtum-Kasematte und sieht ein Spiel vom Sterben des sozialen Menschen.
Die Szenerie ein Co-Working-Office oder Kollektivbüro, wie die t’eiger es bezeichnen. Hier wird gefeilt an der Karriere, geprobt für den großen Auftritt, aber eben nur der Idee nach. Der Plan hat nämlich reichlich Sand im Getriebe, man plant und plant und setzt nichts um. Die selbstoptimierenden, künstlerisch tätigen Figuren sitzen an separeten Schreibtischen, vor einem Spiegel, der eigentlich ein Laptop ist: Jeder Laptop ist ein Spiegel, in dem das Selbst inszeniert, getunt und präsentiert wird.
Die Arbeit am Selbst ist eine Arbeit an der Rolle, die man gerne für andere darstellen und verkörpern möchte, das kann man aus dieser Vorstellung mit nach Hause nehmen. Kristina Owais zum Beispiel, eine Opernsängerin, singt voller Ambitionen, übt eisern und diszipliniert ihre Arien und übertönt dadurch die anderen, die sich mit ihren eigenen Projekten abmühen. Die Selbstbezogenheit auch hier, wenn sie wahrlich stimmgewaltig und emotionsgeladen „Addio del passato“ darbietet. Sie erzählt vom Scheitern und macht dadurch deutlich, dass sie eine vom Weg Abgekommene ist. Thomas Sobotka, zuständig für Regie und Textfassung, spannt dabei gleich ein Netz auf, in dem er die Bohème und eben die Traviata mit der Gorki-Vorlage verwebt. Das entspricht dem dramaturgischem Selbstverständnis und folgt diesem auch in der aktuellen Inszenierung konsequent. Vielleicht ist es an manchen Stellen aber wohl doch zu viel des Anspielens und mehr tatsächliches Ausspielen anzuraten.
Wieder die Vorzüge: wirkungsvoll zu unterstreichen vermögen die eingesetzten Clowns von Sobotka die Annahme, dass wir in unserer Rollenhaftigkeit gerade das zu verschleiern versuchen, was wir eigentlich sein wollen. Die Figuren werden im Stück nach und nach zur clownesken Montage ihrer selbst und erlangen eben dadurch eine Distanz zu sich. In der Ich-Ferne erblickt man sich von außen, ohne die Rolle zu spielen, das ist großartig und verdient besonderen Respekt.
So haben die t’eiger einmal mehr bewiesen, dass sie originell und erfindungsreich Wege beschreiten, die anderswo schon im Keim ersticken. Das rüttelt auf, schüttelt die erlebten Theatererwartungen durch und überzeugt, weil die Wirkung direkt im Einzelnen auf Resonanz stößt; ein Asyl, am Tag wie in der Nacht.
Raffael Hiden
Informationen und Termine: http://www.theater-teig.at/index.php?mact=LISEproduktionen,cntnt01,detail,0&cntnt01item=nachtasyl&cntnt01category=aktuell&cntnt01returnid=15