Robert Seethaler, 2018, Das Feld. Berlin, Hanser, 240 Seiten, ISBN 978-3-446-26038-2
Neuerdings ist in Buchbesprechungen oftmals die Rede von sogenannten Page-Turnern. Diese Umschreibung soll Bücher definieren, die man nicht weglegen kann, weil sie einen Lesefluss erzeugen, der nicht enden will. Der Text entzückt die Leserschaft so sehr, dass diese sich völlig in der literarischen Imaginationswelt verliert und in dieser verweilen will.
Zweifelsohne ist Robert Seethalers neuer Roman hierfür ein Paradebeispiel, wobei dieses Etikett wohl auf dessen Gesamtwerk anwendbar ist. Auch in „Das Feld“ versteht es Seethaler auf unnachahmliche Weise, Bilder und Atmosphären hervorzubringen, die gerade wegen ihrer Einfachheit und Direktheit ein tiefes Verständnis für die dadurch erschaffene literarische Wirklichkeit zu vermitteln imstande sind. Das textuelle Gestaltungsprinzip Seethalers ist das Aussparen von Dingen ohne Belang, die kahle Sprache überzeugt durch eine Simplizität, die eben darin ihren Zauber trägt.
Das Feld jedoch, ist kein Feld im wörtliche Sinne, sondern ein Friedhof in einer Kleinstadt, die Seethaler Paulstadt heißt. Und die handlungstragenden Figuren sind keine Lebenden, sondern Tote oder „Die Stimmen“, wie aus dem Eingangskapitel deutlich wird. In den durchwegs kurz bis mitunter kürzest gehaltenen Berichten erlangen sie wieder eine Stimme und schweben so über der Erde. Der Schwebezustand ist dabei durchaus im übertragenen Sinne aufzufassen, denn die Stimmen bewegen sich zwischen Leben und Tod, sind demnach weder lebendig noch tot; weder Lebens- noch Totenberichte also.
Dass dieser Plot nicht zum ersten Mal in der Literaturgeschichte als Projektionsfläche für Lebensweisheiten, Aphorismen und Klugheiten herhalten muss, hat bereits Iris Radisch in ihrer Besprechung dargelegt.[1] Was wir hier nicht weiter kommentieren wollen; wir wollen weniger das literarturgeschichtliche Feld beackern als vielmehr der Metaphorik des Feldes auf den Grund gehen.
Im Falle Seethalers versinnbildlicht das Feld die Vielfältigkeiten und Mehrdeutigkeiten des Lebens. Er webt die Feldmetapher in ein vielstimmiges Bedeutungsgewebe ein. Die Bedeutung des Feldes ergibt sich aus ihrem Gebrauch in der Sprache. Und der Boden der Verwendungsweise, die geformte Erde, dort – worunter die Auferstehenden liegen – wird eben dadurch kultiviert. Jeder Boden, aus dem dann erst das Feld sich formiert, ist mehrschichtig und die Summe aller Böden ergibt nicht das Feld, auch lassen sich die Böden nicht aufeinander reduzieren. Jede Stimme trägt ihre Bedeutung in sich und steht auch für sich; zumindest auf den ersten Blick. Denn natürlich liegt der Schluss nahe, dass aus den einzelnen Berichten eine tote Stadt wieder zum Leben erweckt wird – sofern eine Stimme zu haben, eine notwendige Bedingung von Leben ist.
Problematisch ist gerade diese Frage, denn darin liegt die Krux der literarischen Gestaltung. Selbst wenn die Sprachlosen wieder sprechen und naturgemäß durch die Distanz auf das gelebte Leben zu tieferen Einsichten in dessen Zusammenhänge befähigt sind; sie sprechen so als ob sie lebendig wären und das funktioniert nicht so recht. Hierbei wäre wohl doch ein imaginatives Übergehen des Lebens nötig gewesen, das sich ja durchaus aus der archäologischen Umgrabungsmöglichkeit im Feld auch als sprachliche Transformation herstellen hätte lassen. Das muss nicht in phantastischer Literatur oder Ähnlichem münden, keineswegs; aber durch die Distanz zum erlebten Leben, sollte das Erleben des Lebens und des Todes auch Veränderungen im Ausdruck nach sich ziehen.
Daran hakt Seethalers Konstruktionsprinzip, denn die unterschiedlichen Stimmen sprechen irgendwie ähnlich, wo doch so viel Bandbreite möglich wäre. Gewiss sind einzelne Formulierungen, Sequenzen und auch ganze Kapitel ein wahrlicher Lesegenuss, doch insgesamt begleitet die Lektüre dann doch der mitschwingende Wunsch nach mehr Variantenreichtum. Denn zwischen beschreibenden Wörtern und beschriebenen Dingen liegt ein Feld, das von unten wie von oben bewirtschaftet werden will – auch sprachlich sollte man denken.
Raffael Hiden
[1] https://www.zeit.de/2018/24/das-feld-robert-seethaler-roman-provinz