Michael Krüger: „Einmal einfach“. Eine Besprechung

Krüger Michael 2018, Einmal einfach. Berlin, Suhrkamp Gedichte, 130 Seiten, ISBN: 978-3-518-42798-9

Nun ist der fünfte und voraussichtlich letzte Gedichtband von Michael Krüger bei Suhrkamp erschienen. Gelegenheitsgedichte sind es, wie Krüger seine Verse im Anschluss an Goethe verstanden haben will. Diese entspringen keinem wohlüberlegten Konzept, sind nicht als Resultat intellektuellen Kalkulierens aufzufassen, sondern bewirken sich vielmehr selbst. Ein Gelegenheitsdichter wie Krüger ist ergriffen von Eindrücken, Erlebnissen, Gedanken, eben weil er sich nicht sorgfältig darauf vorbereitet, nicht bewusst darauf wartet und nicht plant, einen Geistesblitz, einen Impuls zu empfangen. Ergriffen-Werden kann nur der, der offen ist und empfänglich, für das, was nicht  im Reich der erklärbaren Zweckmittel seinen Platz findet.

„Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte. Sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden“, schreibt Goethe an Eckermann. Darin folgt ihm Krüger, denn der Bezug zur sogenannten Wirklichkeit ist zwar die Bedingung der Möglichkeit für sein Verständnis von Lyrik, doch die sich dann darin offenbarenden Verbindungslinien stellen Verknüpfungen her, die eine Welt in und für sich selbst tragen. Sie sind getragen von dem Gefühl einer offenen Welt, die sich nicht verschließen will vor allzu eifriger Verengung auf angeblich Elementares.

Die Gedichte sind in drei Abschnitte untergliedert, denen zwar kein übergeordneter Titel vorangestellt, deren innerer Zusammenhang aber trotzdem in sich stimmig ist; die Lyrik harmoniert. Beschaut wird die Natur, ungehobelte Nußbäume, reizende Apfelbäume, Neu-Schnee. Gereist und dabei begleitet wird die Leserschaft nach Skopje, nach Cluj, nach Mazedonien, immer mit dem Gefühl der Ziellosigkeit. Es ist sicherlich eine elementare Einsicht dieser Lyrik, dass das Reisen in keiner notwendigen Folgerungsbeziehung zum Ankommen steht. Diese Einsicht steht darüber hinaus als Metapher für das gesamte Leben in unserer Gegenwart, die geprägt ist von der Verwertung, Speicherung und Planung. Gleichzeitig erinnert es auch an Montaigne, bei dem es heißt: „Die meisten aber machen sich bloß des Heimwegs willen auf den Hinweg.“

Der sorgsam editierte Text und auch vorzüglich gestaltete Umschlag ermöglicht den Gang in einen Sprachkosmos der Möglichkeiten, um in der Welt, so wie sie uns erscheint, neue Schattierungen sichtbar werden zu lassen. Und in diesem Kosmos der Poesie wird sprachlich klar, was an anderen Stellen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenz der Quantifizierung zum Opfer fällt. Eine Anregung am Ende:

„Wie ein Auge, in dem nachts die Träume schlafen,

wenn die Sprache sich von der Wissenschaft erholt.“ (20)

(Auszug aus „Wissenschaftskolleg“)

Raffael Hiden

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