Längst nicht nur über die Wandlung von Natural Born Killers zur Matrix , die Geburt der Hochfrequenzarbeit in den 90ern, die Problemgruppe der „Alten, weißen Männer“ – und was Shakespeare mit LeFloid zu tun hat.
Karin Scaria-Braunstein im Gespräch mit
Ed. Hauswirth
Präludium: Gegen Ende Mai und 18:00. Wir setzen uns in ein Café in Graz-Nord, das szenisch wenige Wünsche offen lässt.
Karin: Wann ist für dich Theater lebendig?
Ed. Hauswirth: Bei einer Bühnenanordnung interessiert mich der ausgesprochene und unausgesprochene Resonanzraum zwischen Publikum und Bühne. Aber es interessiert mich bei anderen Anordnungen auch auf einer geistigen Ebene. Ich denke, Theater ist dann lebendig, wenn es in irgendeiner Form Beziehung, Dialog, Kontingenzen aufbaut; wenn es zusammenhängt mit einer Umgebung, der Gesellschaft, einer Lebensrealität – wie es sich dazu verhält, was es darüber zu sagen hat. Das Zentrale ist: gelingt es, diesen Moment in eine künstlerische Form zu überführen, die irgendwie real ist. Ich würde es Spielästhetik oder Darstellungsästhetik nennen, die einer permanenten Entwicklung unterworfen ist, da sich die Gesellschaft verändert und damit auch die Konstruktion von Glaubwürdigkeit. Es gibt den alten Zadek-Satz: Wir bauen nicht Szenen, wir bauen Momente. Und auf den Moment würde ich mich immer wieder zurückziehen. Es gibt etwas Unkontrollierbares darin, eine Form von kleiner sozialer Gefährlichkeit. Sehen und gesehen werden, hören und gehört werden, riechen und gerochen werden [wir sitzen in der Nähe eines Kanaldeckels, der sich olfaktorisch aufdringlich bemerkbar macht], das muss eine Rolle spielen. Es muss einen Grund haben, warum sich 100 erwachsene Menschen gemeinsam in einen finsteren Raum einsperren. Die Frage klingt lustig, ist aber gar nicht so einfach zu beantworten. Das Thema kann etwas eröffnen, dann wieder geht es um die Spiellust, um die Begegnung der Künstler oder um das Ausprobieren einer neue Anordnung. Die Karotte muss immer vor der Nase hängen.
Karin: Ist es anstrengend, diese Lebendigkeit aufrechtzuerhalten?
Ed. Hauswirth: Ja, sicher ist das anstrengend. Es ist ein Lüge zu sagen, das Theater macht gesund. Das ist ein Blödsinn. Theater ist eine schöne Lebensform, für mich eine selbstgewählte. Die kostet allerdings Energie, abverlangt leere Kilometer, Zeitverbrennung. Das ist jedoch wiederum wichtig, damit Neues entstehen kann. Ich bin ein hochfrequenter Arbeiter; das kommt noch ein bisschen aus den 90ern. In der nächsten Zeit versuche ich das etwas zu verlangsamen. Meistens arbeite ich aus den Proben, aus der Stückentwicklung heraus, aus der Begegnung mit dem Spieler, dann gehe ich in die Recherchen hinein und wieder zurück. So eine Phase habe ich in einem Stück gerade hinter mir. Jetzt mache ich quasi drei Monate Pause, das erste Mal seit langer Zeit. Trotzdem habe ich vor, in diesen drei Monaten immer wieder einmal an diesen Stoff heranzugehen. Das würde ich normalerweise nicht tun. Ich versuche eher aus der Begegnung aus der Gruppe etwas zu kreieren. Außer in der Zusammenarbeit mit Matthias Ohner, da habe ich immer vorher die Texte bearbeitet.
Karin: Du hast also üblicherweise zunächst ein Thema, das dich interessiert, das dich anspricht.
Ed. Hauswirth: Ein Bereich, ein Thema. Mit den Rabtaldirndln beispielsweise: Biographien von Menschen, die weggehen; der Unterschied zwischen Stadt und Land. Dann gehe ich mit der Gruppe in die Recherche oder gebe ihnen einen Rechercheauftrag und beginne im Proberaum mit Versuchen. Oft ist es so, dass in einer frühen Phase eine vertraute Person dazu kommt.
Aber ich möchte sicher nicht den nächsten Shakespeare inszenieren. Ich glaube, dass sich durch die digitale Revolution – ob wir es wollen oder nicht – die Erzählweise im Theater verändert und dass sich vor allem der Kanon entscheidend verändert. Der Kanon ist heute nicht mehr nur die Literatur, sondern es sind auch Filme, Erzählungen im Netz, usw. Der Kanon meiner Generation ist ganz viel der Film. Aber der Kanon der nächsten Generation ist möglicherweise neben den literarischen Werken auch YouTube. Ob wir das gut finden oder nicht, wird uns keiner fragen. Shakespeare wird deshalb nicht untergehen. Mein Interesse ist aber: was ist aktuell, was bewegt sich gerade, hab‘ ich noch etwas dazu zu sagen. Glück ist es, wenn ich hin und wieder in einem größeren Zusammenhang arbeiten kann.
Karin: Du sagst, die Veränderungen haben einen Einfluss auf das Theater; der Ursprung des Materials, die Möglichkeiten der Recherchen. Hast du das Gefühl, dass das schneller wird, dich mehr drängt, weil einfach mehr da ist?
Ed. Hauswirth: Die Geschwindigkeit kommt gar nicht davon, die kommt aus den 90er Jahren. Aus dem Vorbild Frank Castorf’s Volksbühne, der irgendwie unser Gott war, Sachen hinausgehauen hat, das hat uns beeindruckt. Die Idee von Hochfrequenz, Flexibilität, Schnelligkeit und Ad hoc kommt aus dem Neoliberalismus. Gerade ändert sich wieder etwas, nun ist es nicht schneller, sondern gleichzeitiger. Parallelität ist das größere Thema. Es ist nicht mehr Natural Born Killers, es ist The Matrix. Das Nebeneinander. Das verlangt ein Umlernen meiner Generation. Wenn ich einen Shakespeare erzählen will, genügt es nicht, eine YouTube-Ästhetik drüberzulegen, sondern dann muss ich mir überlegen, was das mit LeFloid zu tun hat. Oder ist es gerade gut, dass es nichts damit zu tun hat. Das könnte auch eine Antwort sein. Man ist nicht dadurch aktuell, indem man sich modisch aufführt. Zeitnahe wird es im Versuch mit der Verbindung mit dir. Zu schauen, was es auslöst. Ich hab Lust aufs Theatermachen; mit unterschiedlichen Fortünen.
Karin: Wenn du eine drei monatige – nicht ganz freie – Schaffenspause einlegst und es käme etwas ganz Abruptes auf, ein heißes Thema in der Politik oder eine andere Katastrophe: Wie reagierst du darauf, unterbrichst du die Pause, willst du daran unmittelbar ansetzen?
Ed. Hauswirth: Ich stelle nicht den Anspruch, zu jedem Thema etwas zu sagen zu haben. Käme es aber zu einem Atomkrieg zwischen Nordkorea und USA, kannst du nicht Theater machen, als ob da nichts wäre. Natürlich würde das eine Rolle spielen. Heute spricht man nicht mehr von Autorenschaft, sondern von Script, von Writing und Rewriting. Der Prozess des Schreibens hat sich verändert. Ich habe auch immer wieder z.B. mit Automatic Writing zu tun. Das bedeutet, einfach loszuschreiben und so lange es geht, weiterzuschreiben. Es gibt ein Ausgangsthema und dann wird die Kontrolle abgegeben. Quasi eine Improvisation mit Stift und Papier. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man den Autorenprozess steuern oder verändern kann. Es besteht nicht mehr die Notwendigkeit, dass der Text vor der Szene da sein muss, es existiert viel mehr ein Austausch. Daher ist man auch zur Reaktion gefordert, wenn etwas passiert.
Karin: Wie gehst du mit Text, mit verschriftlichter Sprache um? Welche Bedeutung hat das für dich?
Ed. Hauswirth: Nehmen wir ein Gedicht, ein Brecht Gedicht. Dann ist das für mich wie ein eigener Körper. Es macht einen bestimmten Rhythmus, wenn es auf der Bühne vorgelesen wird, es hat eine bestimmte kompositorische Qualität und es gibt eine Spielregel aus. Eine Art von Dynamik, von Wahrnehmung, die die Spieler zu dem Text haben müssen. Damit kann ich alles machen. Wird er wie ein Homerscher Gesang begriffen, bleibt er ganz dicht; ebenso denkbar ist eine Dekonstruktion oder eine Überschreibung. Alles, was man benutzen kann, gilt, aber man muss nicht alles machen. Manchmal ist es auch gut, auf etwas zu verzichten.
Karin: Wo ist denn deine persönliche Grenze?
Ed. Hauswirth: Es gibt ideologische Grenzen. In Wien ist es mir einmal passiert, dass ich Applaus von der falschen Seite bekommen habe.
Karin: Wie kam es dazu?
Ed. Hauswirth: Es gab den Skandal wegen der Absage von KEINE ANGST. EINE HEIMGARTENREVEU. [Regie: Ed. Hauswirth] . Das Stück durfte nicht auf die ursprünglich geplante Tournee gehen, weil befürchtet wurde, die Leute könnten ihre Abos kündigen. Meiner Meinung nach war das ein völliger Unsinn. Jedenfalls gab es dann doch eine Aufführung und sehr gute Kritiken. Thema war die brüchige Idylle in Schrebergärten; ein kleiner Rückzugsort, wo Leute etwas aufbauen, der in einer gewissen Weise sogar noch autochthon ist. Ich habe versucht, zu den Ängsten und Abstiegsängsten, wo das Klima nach Rechts rutscht, etwas zu beschreiben. Kritisch, aber nicht aus einer harten, rein anklagenden Position heraus. Das Stück stützt sich auf Interviews mit den Menschen. Das ist uns gut gelungen. Aber von die „Neue Freien Zeitung“ gab es eine Jubelkritik, das war für mich ein Alarmzeichen. Irgendetwas, was nach Rechts geht, das ist meine Grenze.
Karin: Wie hast du darauf reagiert?
Ed. Hauswirth: Gar nicht. Da bin ich altmodisch: die Kritiker machen ihren Job, ich mach‘ meinen. Gerne eine Diskussion, aber ich würde niemanden sagen, was er schreiben darf; oder sagen: du hast Unrecht.
Karin: Hast du für dich selber Konsequenzen daraus gezogen?
Ed. Hauswirth: Ja, ich war viel zu vorsichtig mit dem ganzen Stück, sehr respektvoll. Wenn ich das nächste Mal in so ein Feld gehe, werde ich dezidierter sein.
Karin: Wie schätzt du die gesellschaftliche Wahrnehmung deiner Tätigkeit ein?
Ed. Hauswirth: Ich glaube, von Die Rabtaldirndln, dem Theater im Bahnhof, also dem Grazer Sektor, da gibt es eine gewisse Wahrnehmung, eine Akzeptanz des Off Theaters. In gewisser Weise stimmt damit die Dichotomie nicht mehr: der freie Sektor, der rebellisch, das Establishment, das konservativ ist. Die Verhältnisse verflüssigen sich. In dieser netten klein-bürgerlichen, westlichen Gesellschaft ist es durchaus akzeptiert, dass eine kritische, andere Lebensform des Theaters existieren kann. Das beweist sich in der finanziellen Förderung. Die Resonanz hingegen ist unterschiedlich; das gelingt manchmal besser, manchmal schlechter. Es gibt auch überraschende Resonanzen.
[Ein Auto bleibt direkt vor dem Café stehen, aus ihm dröhnt ohrenbetäubende Musik zu uns herüber, vermischt sich mit dem Geruch des Kanals]
Karin: Das ist wahrlich ein schönes Platzerl hier, das du dir ausgesucht hast.
Ed. Hauswirth: Ich bin immer schon gerne in solche Cafés gegangen. Etwa das Café Gabi in Eggenberg, Endstation 7er, das war der Wahnsinn. Ich habe eine gewisse Romantik über das billige Leben, das Leben des Alltags. Das mag ich gern. Ich komm selber vom Land. Das ist für mich eine interessante Community.
Karin: Ist im Off Theater noch ausreichend Rebellion da?
Ed. Hauswirth: Ich würde eher deinen Begriff aufgreifen: das Theater ist der Ort der Reflexion, der Auseinandersetzung. Die großen Würfe aber gelingen nur dann und wann. Etwa Shermin Langhoff, die von Neukölln ans Maxim-Gorki-Theater gegangen ist. Etwa 8 Jahre hat sie eine migrantische Arbeit in Neukölln gemacht und kam dann ans Stadttheater. Das ist eine bemerkenswerte gesellschaftliche Bewegung. Das ist wichtig. Es braucht im Theater eine gewisse Schärfe, aber es braucht nicht zwingend diesen rebellischen Gestus. Wir sind keine Fassbinders. Vielleicht bin ich einfach zu alt dafür. Es braucht den Mut für Veränderung, aber eine Dichotomie gibt es nicht mehr. Früher waren alle Freien die Freien, vom Stadttheater wurde herunter geblickt, wir haben geschimpft und hinauf geblickt. Das ist vorbei. Und das ist auch gut so. Die Lust und die Neugierde sind das Entscheidende. Und die Chance, etwas zu sagen zu haben, was dann und wann gehört wird.
Karin: Wann hast du das Gefühl, dass es gehört wird?
Ed. Hauswirth: Wenn es etwa aus der Politik eine Reaktion gibt. Als ich vor drei Jahren [2015] die Komödie Rechts der Mitte [WAHR UND GUT UND SCHÖN] gemacht habe, schickte ein Stadtrat seine Spione aus. Oder in DER BAU geht es um die Vergemeinschaftung, viel mehr als um eine Aussage Pro oder Contra. Das wird besucht von Kraftwerksgegnern gleichermaßen wie von Kraftwerksbefürwortern. Im Anschluss kommt es immer wieder zu kleinen Diskussionen, dann ist das super gelungen. Oder wenn bei LEHRERZIMMER 8020 viele Lehrer, bei POLIZEI GRAZ. EINE ALL-INCLUSIVE ERFAHRUNG Polizisten kommen.
Karin: Bei DER BAU geht es also mehr als nur um Pro- und Contra Positionen.
Ed. Hauswirth: Genau. Es geht darum, welche Gemeinschaften dieses Bauwerk [Murkraftwerk, Speicherkanal] in der Stadt stiftet. Plastisch dargestellt: die Gemeinschaft der Befürworter und Profiteure und die Gemeinschaft der Widerständler – aber wie hängt das zusammen? Was macht das in einer Stadt? Bei den Diskussionen war z.B. auch der Pressesprecher der ESTAG [Energie Steiermark] anwesend. Mir ist aber auch wichtig, dass wir hinausgehen. Mit den Dirndln fliegen wir diese Woche nach Sri Lanka [Gastspiel DU GINGST FORT], das TiB fliegt im Dezember nach Island auf ein Festival mit der Co-Produktion mit dem Steirischen Herbst aus dem Vorjahr. Die überregionale Wahrnehmung gibt dann schon Bestätigung.
Karin: Aus dem TiB heraus sind ja doch einige Leute berühmt geworden, das trägt sich vermutlich gegenseitig?
Ed. Hauswirth: Der Michi [Michael Ostrowski], die Pia [Pia Hierzegger] und der Andi Kiendl helfen uns schon sehr. Es gibt eine Rückwirkung.
Karin: Das ist für die Wahrnehmung sicher hilfreich.
Ed. Hauswirth: Kulturelles Kapital, heißt das doch so schön. Es hilft, natürlich. Bei jedem zweiten Artikel steht dann auch THEATER IM BAHNHOF dabei, auch wenn der Michi schon 6 Jahre nichts mehr bei uns gemacht hat, DEMOKRATIE DIE SHOW war das letzte Stück. Aber er identifiziert sich nach wie vor damit und es wird vielleicht wieder eine Gelegenheit geben. Die Film-Schauspielerei ist aber von einem gnadenlosen, liberal-radikalisierten Markt geprägt.
Karin: Das ist noch einmal eine ganz andere Geschichte, oder?
Ed. Hauswirth: Ja, da bringen die Kräfte des Marktes viel Geld, wobei dann gar nicht so viel über bleibt, dass die Schauspieler alle reich wären. Da wirst mit Immobilen leicht reicher.
Karin: Du hast vorhin angesprochen, dass es im Theater möglich ist, nicht nur Pro und Contra zu bearbeiten, sondern Zwischentöne zu beleuchten. Das ist in der Wissenschaft nicht so einfach, daran wird nicht so sehr gearbeitet. Was bedeutet es für dich aus einer erkenntnistheoretischen Sicht heraus, welche Schlüsse ziehst du aus diesen Zwischentönen?
Ed. Hauswirth: Der wichtigste Schluss ist, dass die Bühne ein Raum sein muss, wo Freiheit, emotionale, diskursive Debattenfreiheit möglich ist. Das ist ein Privileg. Bis zu einem gewissen Grad darf ich Beliebigkeit benützen, um diese Freiheit herzustellen. Ich darf in manchen Momenten schlampig sein, wenn ich auch im Denken genau sein muss. In der Spielanordnung kann ich scheinbar schludern, um das Level der Diskussion so weit herunter zu senken, dass die Leute das Gefühl haben, es wäre ganz normal. Das ist wichtig, weil das Zugänge erlaubt, die sonst nicht gesehen würden. Die Art des Spiels ist wiederum unterschiedlich. Es gibt gerade viel Diskussion über Immersion, bei den Berliner Festspielen beispielsweise, oder über die sogenannte „Gamification“. Die Immersion zieht Leute in eine Welt hinein – was Theater ohnehin immer wollte – wie es die Computerspiele auch machen. Meine Arbeit ist es, Formate zu finden, zu ermitteln, wie etwas erzählt werden kann; wie gelingt es, Menschen dazu zu bringen, mit dem Kopf mitzuspielen, mit zu phantasieren. Etwas zu sagen, was nicht eindeutig ist. Das ist allerdings nichts Neues, das war bei Shakespeare schon so. Es gibt kaum ambivalentere Figuren wie Hamlet oder Macbeth. Das entspricht einfach der menschlichen Erfahrung.
Karin: Das suchst du dann vor allem in den Alltagsanordnungen?
Ed. Hauswirth: Ich arbeite oft mit Gebieten. Wichtig ist zu wissen, wie gerade die Aufmerksamkeitskultur einer Gesellschaft – von uns allen – ist. Wie lange sind wir in der Lage, an etwas dranzubleiben oder zuzuhören? Die Frequenzen ändern sich. Wenn die Kids 90 Sekunden Clips machen, muss ich dann auch 90 Sekunden Clips machen – oder mach ich gerade im Theater das Gegenteil? Diese Fragen interessieren mich.
Karin: Wann hast du das Gefühl, Alltagserfahrungen, Begegnungen, Empfindungen so erfasst zu haben, dass du sie auf die Bühne bringen kannst? Du hast schon gesagt, dass es für dich ein zirkulärer Prozess ist.
Ed. Hauswirth: Sobald ich angefangen habe, ist das Ziel die Bühne. Es kann sein, dass ich etwas schützen möchten, etwas nicht sichtbar machen möchte; weil ich die Ambivalenz nicht halten kann, weil etwas Falsches gelesen werden könnte. Mir ist das aber ganz selten passiert. Dennoch, wenn ich zum Beispiel mit Afrikanern arbeite: ich gehöre sozusagen zur Problemgruppe des „Alten, weißen Mannes“ – und da bist du paternalistisch, ob du das willst oder nicht. Es loszuwerden, daran gilt es dann zu arbeiten; bei zwei Stücken ist es uns ganz ok gelungen. Wenn die Beschäftigung mit Improvisation, Auseinandersetzung, Recherche in den Proberaum geht, beginnt ein Eigenleben, kommt es zur Entkoppelung. Ich bilde ja nicht ab, sondern entwickle eine Haltung dazu. Ein respektvoller Zugang zu dem Bereich soll entstehen, zu dem ich trotzdem auf einer Metaebene etwas zu sagen habe. Das ist schwer genug. Bei KEINE ANGST. EINE HEIMGARTENREVUE war das offensichtlich nicht allen klar. Bei EXIT – ICH LIEBE MEINE PANIK [Regie: Ed. Hauswirth], das ich gerade in Linz gemacht habe, hat es funktioniert.
Karin: Das ist ganz viel Auseinandersetzung mit dir selber. Verantwortung hab‘ ich da heraus gehört; bis wohin du gehen kannst, was du zeigst oder nicht zeigst.
Ed. Hauswirth: Ja, sicher. Es ist die Lust dabei, etwas zu zeigen, was man nicht kennt, etwas Spannendes herauszufinden. Gleichzeitig geht es um die Verantwortung. Ich anonymisiere nach der Recherche immer, trotzdem ist es manchmal wiedererkennbar.
Karin: Im Kontext vermutlich.
Ed. Hauswirth: Aus dem Sektor etwa, ja. Wenn es heißt: die sind so – das wäre schlecht.
Karin: Das wäre dann eine Art von Typisierung?
Ed. Hauswirth: Genau, eine Zuschreibung und dergleichen. Bei dem Schrebergarten-Stück wollte ich beispielsweise keine Menschen mit Unterhose und Unterleiberl auf der Bühne haben, die hinter einer Pflanze sitzen. Das Elisabeth-Spira-Klischee. Wir haben quasi einen Agitationsabend daraus gemacht, wo sie von ihrem Leben erzählt haben.
Karin: Eine Form der Abstraktion?
Ed. Hauswirth: Theater hat immer diesen Faktor. Wobei: ich weiß nicht. Doch, irgendeine Form der Abstraktion hat es immer. Alleine durch den Akt des Herausnehmens.
Karin: Wie du deine Arbeit gestaltest, das hat doch auch einen gewissen wissenschaftlichen Charakter. Trotz Freiheit: Herangehensweise, Verantwortlichkeit, der zirkuläre Prozess.
Ed. Hauswirth: Das kommt aus der Begegnung mit Menschen, die mich fasziniert haben. Es gab auf meinem Weg viele gute Regisseure, Dramaturgen. Lehrer. Aber auch mit jungen Leuten gibt es wichtige Zusammenarbeiten. Monika Klengels Bruder ist Anthropologe; er hat uns bei GRAZ ALEXANDERPLATZ geholfen, eine Recherchemethode – die teilnehmende Beobachtung – zu entwickeln. Das ist eine interessante Technik für einen Wissenschaftler, aber auch für einen Schauspieler. Letzterer beobachtet sowieso; wenn er in ein Feld geht und sich dort verhält – da ist der Begriff hervorragend für den darstellenden Künstler.
Karin: Insgesamt habe ich das Gefühl, dass wir sehr viel voneinander lernen könnten. Eure Art der Offenheit und die soziologische Herangehensweise. Ich denke, da vermag sich viel aneinander zu entwickeln.
Ed. Hauswirth: Auf jeden Fall. Das Gute beim Theater ist außerdem, dass es sich viel Freiheit nehmen kann, wenn es etwas weiter bringt. Beispielsweise ABREISSEN von Die Rabtaldirndln geht auf eine einzige Geschichte zurück. Wir wollten etwas machen über die Bundespräsidentenwahl und über das Auseinanderdriften von Stadt und Land. Durch eine Geschichte kam es zu einem Gespräch mit dem Betroffenen, dann gingen wir in die eigene Erfahrung; dazu kommt die äußere Welt über Politik-Sprüche. Verschiedene Elemente werden also zusammengetragen, eine Sammlung von Sätzen, Texten. Ausgegangen ist es aber von einer Person, von einer persönlichen Geschichte, die wir geöffnet und in den Prozess gezogen haben.
Karin: Mit vielen unterschiedlichen Ebenen und Perspektiven. Eine Verdichtung.
Ed. Hauswirth: Genau. Die Idee mit der Haltungsschau war dann da; und das Format gibt dem Publikum eine gewisse Sicherheit. Es hat alles gebraucht: persönliche Geschichte, die Recherche und auch die Auseinandersetzung mit der Theorie zu diesem Thema. Natürlich, es ließe sich darüber streiten, ob es die richtige war. Manchmal geht diese Arbeit bei einem Stück gut zusammen, Resonanzen entstehen, manchmal zieht es nur hin, trifft sich aber nicht.
Karin: Wie gehst du damit um, wenn dir das passiert?
Ed. Hauswirth: Dann bin ich ein bisschen traurig. Unterwegs ändere ich es, wenn ich es lösen kann.
Karin: Ist es dann ein Gefühl von dir, dass es nicht zusammengeht, oder ist es evident?
Ed. Hauswirth: Das ist dann evident. Beides – oder auch ein Gefühl. Genau kann ich es nicht sagen. Es ist zu spüren, auch wenn mich das Feedback nicht erreicht. Kann auch sein, dass dich die Leute schonen, sagen: „Lassen wir ihn im Ruhe, gehen wir nach Hause, prost“. Ist ja nicht schlimm. Ja, es ist schon evident. Eigentlich weiß man es.
Karin: Greifst du auf funktionierende Methoden zurück oder hat es immer einen experimentellen Charakter?
Ed. Hauswirth: Ja und nein, beides ist richtig. Die Erfahrung, auf etwas zurückgreifen, das macht jeder. Sie sind aber in der jeweiligen Zusammensetzung dann doch ganz anders. Es wird in dem Prozess anders; weil es auf Menschen trifft, weil Menschen es anders machen, anders verstehen. Oft kommt man drauf, dass man von etwas gemeinsam gesprochen, aber doch andere Bilder im Kopf gehabt hat. Das finde ich auch gut. Das macht – auf deine erste Frage zurückkommend – die Lebendigkeit aus. Alleine durch die Anordnung und die Zusammensetzung unterscheidet es sich: wer arbeitet mit wem, in welchem Raum, in welcher Umgebung. Das macht irrsinnig viel aus. Wir haben den Ehrgeiz, wahnsinnig viel erzählen zu wollen, schreiben fette Konzepte – aber manchmal müsste man einfach 70% weg streichen. In the end kommt’s drauf an: Was ist da?