„No Desert Roses“ ist ein sorgfältig arrangiertes Theaterstück, das in erster Linie den Graubereich zwischen Identität und Alterität auszuloten versucht ist. Der strukturelle Aufbau folgt dem inhaltlichen Anspruch, was konkret bedeutet, dass Form und Inhalt weitgehend harmonisieren.
Als inhaltlicher Hintergrund fungiert der sogenannte „Arabische Frühling“, und hier insbesondere die sich über Ägypten aus formierenden Protestbewegungen, an denen sich die Autorin aktiv beteiligt hat. Die vielfältigen Eindrücke und der Meinungspluralismus dieser Anfangsszenarien werden anhand von vier Frauen versinnbildlicht. Diese vier Frauen sind es, die im Stück auftreten, oder sind es eigentlich nur drei? V – uns ist nur der erste Buchstabe jeder einzelnen Figur bekannt – ist vielmehr eine Stimme, die „hinter der Bühne zu hören ist, ein gesichtsloser Körper“, so wie in der Personenbeschreibung zu lesen ist. Namenlos sind die Figuren, so kann vermutet werden, weil sie verallgemeinerbar zu denken, als Projektionen aufzufassen sind. A steht für eine afrikanische Geflüchtete aus dem Sudan, W steht für eine ägyptische Schriftstellerin und M steht für eine ägyptische Kosmopolitin.
Sie alle stehen für etwas, sie sind aber keine konkreten Personen; V kann überdies als ins Körperlose transformierte Moralsprecherin angesehen werden. Konkret ist jedoch der Ort der Handlung – wir befinden uns in Kairo. Das räumliche Setting gewährt dem Text einen Ankerpunkt, der, im historisch-symbolischen Kontext, den Kampf der Kulturen deutlich macht. Denn auch der zeitliche Rahmen ist flexibel ausgestaltet, es könnte jetzt geschehen, früher passiert sein oder doch etwas später. Laila Soliman spielt auch mit den Zeitebenen insofern als man – in ihrer Symbolhaftigkeit – W als Gegenwart, M als Vergangenheit und A als Zukunft lesen kann. Kolonialismus, Post-Kolonialismus, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fungieren daher als Achsen, die die Ereignisketten stets in einem Diskurs stellen, der einen Sinnzusammenhang herstellt und dadurch sowohl zuordnet als auch ausschließt; Wir und die Anderen, das Eigene und das Fremde sind die Leitlinien in diesem Narrativ.
Gerade die Verunmöglichung einer Vermittlungsinstanz zwischen Identität und Alterität wird durch die eine kluge Konstruktion fassbar: Denn die „drei“ Frauen sprechen als „Ihr“ zum Publikum und provozieren dadurch das Wahrnehmen einer Grenze zwischen der Bühne und den Anderen. Diese Montage funktioniert insbesondere im performativen Sinne, da sie direkt und unvermittelt eine Trennungslinie leibhaftig werden lässt. Sie überzeichnet auch den aktuellen Realitätssinn und Wahrnehmungsakt, eher in der Erhaltung als in der Erfahrung zu finden ist. Die Kompression von Raum und Zeit macht schon die Realität zu einer Bühne, die in diesem Text eine eindringliche Verdichtung und Zuspitzung erfährt. Da kein „pures Glück“ oder kein „Reines Glück“ mehr erfahrbar ist, wie W an einer Stelle bemerkt, rettet sich das „Ich“ in die Kategorien
des „Man“, und das auf persönlicher, politischer und sozialer Ebene.
Man kann diese Argumentation als Kehrseite der Netzwerkgesellschaft, als negativen Aspekt der zunehmenden Globalisierung aller Lebensbereiche verstehen, doch das Theater und insbesondere dieser Text vermögen mehr zu zeigen: Dass die reine Analyse dieser Prozesse dazu führt, dass das „Man“ das „Ich“ zusehends verschwinden lässt. Denn die Erwartungen, dasjenige, das als sozial erwünscht gilt, sich von außen in den Köpfen festsetzt aber als innerlich wahrgenommen wird, bestimmt sodann das Leben. Exemplarisch wird das deutlich, wenn W. sagt: „Ich sollte doch über Politik sprechen, oder nicht? Das ist doch, was man heutzutage von einer ägyptischen Schriftstellerin erwartet. Vom sogenannten Arabischen Frühling.“ Darüber hinaus räsonieren die Frauen auch über universelle Themen: die Liebe, von Liebschaften, die Ehe, allgemein über den Sinn des Lebens. Sie loten im Dialog die Antwortmöglichkeiten aus und erfahren dadurch, wie sich sogar ihre persönlichen Reflexionen, fernab von reinen Erlebnissen vollziehen. Der Wille zum Einfach-So-Sein ist es, der im Text eine allumfassende Atmosphäre schafft, durch die zudem die Markierungen zwischen Autorin und der von ihr erschaffenen Figuren verschwimmen.
Raffael Hiden