Mit zärtlicher Grausigkeit umarmt sich das Rabtal-Kollektiv (Barbara Carli, Rosi Degen, Bea Dermond, Gudrun Maier & Gerda Saiko) in ihrer Schau auf Raum, Zeit und individuell-kollektive Versinnbildlichung. Zum 15-Jahres-Jubiläum verdichten die Rabtaldirndln in INSIDE RABTAL ihr faszinierendes Wechselspiel widersträubender Daseins- und Ausdrucksformen. „Heute spielen wir Ihnen vor, wie wir wirklich sind.“ Das Publikum zahlt diese Zeche direkt an die Gastgeberinnen.
Gelassenheit kollaboriert mit Verzweiflung, Melancholie paart sich mit Ekel. Die Rabtaldirndln liegen variierend mit abgekanzeltem Pelz und in legerer Freizeitkluft mit sich selbst im Bettreich, um den Standpunkt der Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft zu einer Zeitform zu verbinden. Zuweilen sind die Figuren und Protagonistinnen in diesem Spiel aufeinander fokussiert, zuweilen streben sie erleichtert wieder auseinander.
Neben dem ästhetisch betörenden Waste-Bühnenbild, in dem jegliche Symmetrie der alltäglichen Hässlichkeit weicht, dient der stilistischen Untermauerung eine zwischen den Dirndln zirkulierende Videocam. Sentimentalitätsbilder („Diese Männer immer, und was die reden“; „Diese Ausflüge immer aufs Land“) werden damit ebenso unbarmherzig an die Wand projiziert wie justament Hautporen und Arschfalten. Ein geschicktes Artefakt.
Die Selbstkritik ist nicht versteckt. Auf der einen Seite thematisieren die Dirndln kompetent ihrem feministischen Nabel getreu die blutsaugende Männerdominanz – im politisch/künstlerischen Mäzenatentum -, auf der anderen Seite attestieren sie sich gegenseitig Ideen auszuzelnde Verhaltensweisen. Jede Inspiration, jede Vision, jeder Traum will anstandslos vermarktet werden. Denn nicht nur im Jetzt, sondern auch am Horizont sind Rechnungen zu begleichen, wollen die Protagonistinnen gebührend residieren; um noch später pflegerisch betreut dahinzusiechen. Sozial- und Pensionsversicherungen durchbrechen jede Romantik. Es kreuzen sich auf diesem Weg der künstlerische Anspruch und die Notwendigkeit der schnöden Fördergeldgenerierung. Das Rabtaldirndlnleben outet sich finanziell im schwankenden Fahrwasser befindlich. Dazwischen? Produktive Höhepunkte (etwa Berlin), Kunstpreise (beispielsweise Kulturköpfe des Jahres, 2011), Ideen für den Mistkübel und ganz persönliche Glücksmomente (genüssliches „ludln“), an denen sich das Kollektiv Sekt trinkend und Popcorn essend gerne zurückevoziert. Nach einer Stunde Spielzeit fordern sie das mitgerissene Publikum zum Ständchen auf. Die Dirndln arbeiten sich an alldem lustvoll ab.
Das Gesamte gestaltet sich aus den Einzelteilen. Haare, Lippen, Arsch und Busen; hervorstechend aber Hirn und Herz formen das Kollektiv. Jede Darstellerin bringt sich, ihre individuellen Gefälligkeiten in die Abstraktion ihrer Kunstfigur und alsdann ins wandelbare Gesamtkunstwerk ein, manche potenziert sogar in Nachwuchsform: „Die Welt braucht Kinder von Frauen wie uns“. Wobei sich damit die Nähe der Einzelnen zum Kollektiv neu ordnet. Und das mit dem lückenlosen Zusammenhalt entpuppt sich insgesamt als gar nicht so einfach. Ein Dirndl befindet sich auf Abwegen, reklamiert sich damit zugleich ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die unmissverständliche Nachricht der Übrigen lautet: „Bist bei uns geboren, kommst von uns net weg; egal ob’st in Wien lebst oder ums Eck.“
Die Momente der unbeobachteten Einsamkeit im stimmigen Kollektiv sind knapp, während die persönliche Verantwortung bei solcherlei Darbietung irgendwie doch pickenbleibt. „War’s peinlich?“ Keineswegs!
Karin Scaria-Braunstein