Welches Leben ist wirklich deines? Eine aufrührende Frage, die die Rabtaldirndln (Regie: Ed. Hauswirth) in dieser fulminanten Inszenierung ungeniert – illuster illustriert mittels Diashow und Sangeskunst – in den Zuschauerraum hallen. Mutig!
Die familiäre Rahmung vermittelt erwartungsvolles Unbehagen. Zwischen Regenbogen und Horrorfilm pendelt die ländliche Lebensidylle der Frau. Der tägliche Alptraum verwandelt sich ruckzuck in zynische Realität, wenn der Gatte (passgenau: Versicherungsvertreter) langsam eine Glatze bekommt; und das undankbare Quotenkinderpack (ein Junge und ein Mädchen, natürlich) gänzlich ungezogen dem Transvestismus („wieso war das ein Problem?“) und dem organisierten Verbrechen frönen. Dabei muss Frau doch einfach nur.
Na, „da werden’s wieder reden, d‘ Leit‘“.
Was im knappen Sportsuit beginnt, gipfelt im unbeschwerten Sommeroutfit. Das Intermezzo: offenherziges Dirndl und blutrotes Hemdkleid. Mit gnadenlosem Körpereinsatz emotioniert sich Gudrun Maier durch die tragischen Grenzen ländlicher Beschaulichkeit. Mit einem Blick auf das Leben reißt sie die Zuschauer_innen interaktiv mitten hinein in dieses tiefe, steinige Tal des Franken finanzierten Einfamilienhauses, in dem die verdammten Hauspatschen jeden verdammten Tag wieder zusammengeklaubt werden müssen. Aber im Spiegel lauert bereits so etwas wie Hoffnung: Eine weise alte Frau, die vor langer Zeit Mann, Haus und Kinder erfolgreich hinter sich gelassen haben könnte und nun etwas burlesk sinniert: „Ich war frei – aber auch mehr allein“. Und der größte Wunsch der offenkundig (empörend glaubwürdigen) austickenden Protagonistin? Ein Esel.
Derweilen zerstückelt sie notwendigerweise den graziösen Fliederbusch brachial mit dem Rasentrimmer.
Das Stück hält bravourös mit so gar nichts hinterm Berg. Das (un-)reflektierte Frauenlandleben präsentiert sich als beinahe perfekte Inszenierung: ein markenbestücktes Haus (Benz, Spätauf, Bose, Leiner, Boxspring, KitchenAid, Playmobil, Kettler, Bosch…), die unliebsam geliebte Mischpoke, die ungeheure Nachbarin und zahlreiche mörderisch-lesbische Träume von unerlaubten Begegnungen und hoffnungsvoller Wiedergeburt.
Wozu dieses Träumen künstlerisch und gesellschaftskritisch thematisieren? Wie Mare Stahl es 1965 in dem kleinen Text „Das Leben ein Traum“ bestmöglich ausdrückt: „Wir bilden uns zwar ein, in einer realistischen Welt zu leben, realistisch zu denken, zu handeln, ja sogar zu lieben. Wir brauchen aber nur einen Blick rund um uns zu werfen, um erstaunt festzustellen, daß hier etwas nicht stimmt.“[1]
Ja, da stimmt so einiges nicht. Die Schranken des Frauenideals werden schonungslos von Kindheit an abgesteckt, der Alltag zeitoptimiert und akribisch sowohl fremd-, als auch selbstdiszipliniert. Instagram und Zumba sei Dank. Die Haltung gilt es zu bewahren, denn Ordnung lautet das oberste Prinzip, dann kennen sich alle aus. Wenn aber die Hecke ungehörig wuchert, liegt was im Busch. Sie kann die Maßregelungen nicht mehr hören und der treuelose Mann zieht mit den Kindern den undenkbaren Schlussstrich. „Es reicht, wir sind weg!“.
Wechselwirkungen zeigen die Rabtaldirndln brillant in mannigfaltiger Detailarbeit auf. Zuweilen qualvoll, und dennoch täuschen sie – im festgeschnürten Korsett steckend – Unentbehrlichkeit vor. Bühnenbild und Requisiten versinnbildlichen das konterkarierende Gefühlsleben, das sich einfach nicht einpassen will in den Wahnsinn des Ideals. Am Ende steht die Selbstermächtigung. Wirklichkeit? Die Protagonistin verrät, sie träume vielerlei: Meeresbiologin, Polarforscherin, unterschätzte Landpomeranze. „Welches Leben ist wirklich deines? Es gibt Möglichkeiten, so schaut’s aus.“
Aber Achtung: Happy End muss nicht sein.
Karin Scaria-Braunstein
Infos & Termine: https://www.schauspielhaus-graz.com/play-detail/mein-leben-ist-ein-traum/