Another One Bites the Dust – STAUB im Theater im Bahnhof

Was verbindet Raum und Zeit und Menschen? Es ist der Alptraum, der humane Kitt, aus dem wir gemacht, zu dem wir einst zerfallen, der alles ist, alles war, alles gewesen sein wird: STAUB. Dieses Mal verarbeitet das TiB eine Textvorlage von Barbi Marković, die sich diesem transzendierenden Thema auf verzahnten Ebenen skrupellos widmet und mit aktuellen wohnbaupolitischen Kalkülen (leider nicht bis zur Un-Kenntlichkeit) verbindet. Im STAUB leben wir, noch.

Unter der Regie von Monika Klengel ziehen in chronologischer Reihenfolge Frau Gabi (Gabriela Hiti), Frau Eva (Eva Hofer) und Herr Lorenz (Lorenz Kabas) auf die schwarzgerahmte Bühne. Geklammert werden die Monologe geschickt durch eine technische Zeitreise vom Overheadprojektor zur Virtual Reality. Dazwischen beeindrucken Projektionsästhetiken (Ausstattung: Johanna Hierzegger, Technik: Moke Rudolf-Klengel), die mittels Alltagsgegenständen den ganz gewöhnlichen, bestialischen Kleinkram optisch vergrößern.

STAUB besticht allmählich und jedenfalls auf den zweiten Blick, es ist ein Stück, über das es nachzudenken gilt. Inhaltlich werden viele Facetten aufgegriffen: Frau Gabi operiert in den Mikrokosmen menschlicher Vergangenheiten – aber nicht in einer heroisch-historischen Betrachtung, sondern in einer gerade erst gewesen Vergangenheit, die mit uns noch direkt verbunden ist, in unseren lebenden Körpern steckt: Wo sind wir aufgewachsen? Wo haben wir bisher gelebt? Wie haben wir bisher gelebt? Welche Menschen wurden wir durch diese Leben? Im STAUB lässt sich diese biographische Spur finden: Haare, Zehennägel, Hautschuppen, Tränen und Spucke. Ein Sammelsurium grausiger menschlicher Zellen mischen sich mit Fasern, Ablagerungen, Küchenabfällen. Alles zerfällt und bleibt doch bestehen, weil wir ihn nicht mehr loskriegen, den STAUB, wir produzieren ständig neuen, zerfallen in jedem einzelnen Moment, sind bereits Vergangenheit, müssen den Mist wegkehren, einsaugen und schon ist er wieder da, frisch, angehäuft, abgehäutet in Ecken liegend, sich von dort unaufhaltsam verbreitend. Dieser Staub lässt sich sezieren, auseinanderdröseln, zurechtzupfen, an die Wand projizieren. Dafür setzt Frau Gabi eine Maske auf, desinfiziert sich die Hände. Sie sammelt diesen Unrat widerwillig fasziniert, klassifiziert und katalogisiert , archiviert ihn, um ihn jederzeit wieder hervorzuholen. Ein genuin menschliches Verhalten. Denn warum diese Informationen nicht nutzen, die sich im Staub verbergen? Es handelt sich um eine riesige, objektivierbare analoge Datensammlung geheimster und gemeinster Auskünfte, für die es keine Datenschutzgrundverordnung gibt. Noch nicht.

Frau Gabi lädt Frau Eva ein, sich ihrer STAUB-Vergangenheit zu stellen. Die Reise ist nicht ganz ungefährlich, es droht ein Backflash und da kannst du auch drinnen hängen bleiben, in der Vergangenheit deiner ehemaligen Lebens(alpt)räume, den Zeitschichten aus STAUB. Wie in politischen Talkshows kommentiert Frau Gabi simultan Frau Evas Erlebnisse. Von außen können wir ungefährdet zusehen, dass Frau Eva noch einmal die Landluft ihrer Kindheit atmet, zwischen den Wohnungen ihrer Jugend und Erwachsenenzeit hin und her geschleudert wird, beinahe in die Dusche pinkelt, aus purer Not, weil alles so real erscheint, was sich aus dem STAUB vor ihr aufbaut und dennoch wichtige Versatzstücke fehlen. Frau Eva entkommt dem Spiel. Noch.

Frau Eva ihrerseits entdeckt den kapitalistischen Mehrwert aus diesen Erkenntnissen: Wohnen ist wahrlich nicht immer nur schön. Schon gar nicht, wenn du mit anderen Menschen zusammenhausen musst und im unreflektierten Dahinleben du und deine Haustiere, sie alle zu Schaden kommen. Wir verstecken uns vor unseren Mitbewohner*innen, vergessen hinter Kästen geratene Hamster, saugen sie ein, verstreuen unseren Körper über Teppiche, auf die wir gar nicht mehr gehen wollten, wüssten wir, was sich in ihnen alles verbirgt, heranwächst, ausbreitet. Der Teppich als Black Box. Wir laden Schuld und Dreck auf uns, jeden Tag. Weil menschliches Dasein nicht in einer Quarantäne verläuft. Noch nicht. Dürfen wir uns das wünschen?

STAUBFREIHEIT ist eine elitäre Idee. Gefinkelte Staubsaugersysteme sind hochkomplexe Gebilde, die mitunter in die Preisklasse eines Kleinwagens fallen. Die Superlativen überschlagen sich: der leiseste, der schnellste, der saugstärkste. Aber wenn wir – also die, die sich das leisten können – das alles nicht bräuchten? Wenn wir uns Leben in Wohnräumen denken könnten, die ohne Staub und ohne Leben auskämen, in denen alle glücklich, unbescholten und alles irgendwie pastellfarben wäre. Das gibt es bereits! Herr Lorenz liest das Kleingedruckt nicht und setzt sich eine VR Brille auf. Herr Lorenz und das Rendering: Das ist der Höhepunkt der STAUBFREIHEIT. Live sind wir dabei, wenn Herr Lorenz feststellt, dass diese architektonische Vorstellung reiner, sonnendurchfluteter Wohnwelten ein bisschen Horror ist. Es macht eigentlich gar keinen Sinn, alles ist perverser Schein, vereinsamte Menschen wünschen sich gegenseitig weg, Katzen verdummen in den prächtigen englischgemähten Vorgärten, Kinder werden verflucht und ausgetrieben, alle Männer sind Grafiker, schieben lässig einhändig Fahrräder. Herr Lorenz bekommt einen Kollaps. Das Rendering transformiert zum Egoshooter. Aber keine Sorge: In dieser Welt gibt es kein Blut. In dieser Welt ist nichts echt. Noch nicht.

Noch haben wir Overheadprojektoren.

Karin Scaria-Braunstein

Nähere Infos unter:

https://www.theater-im-bahnhof.com/de/production/staub