Ich distanziere mich

Beim Distanzschaffen und Abstrahieren kann Allerlei passieren.

Abstraktionen bewirken zuweilen Distanzen (und umgekehrt), die einen Raum zu eröffnen vermögen, in dem sich etwas neu und Neues ordnen ließe. Wenn aber dieser Ordnungsdrang als Fokus sich hervordrängt, bleibt der gewonnene Raum schließlich doch schändlich ungenutzt.

In der Soziologie wird gerne in angeblichen Komplexitätsreduktionen gedacht – und schlimmer noch: wortreich mit trügerischen Eindeutigkeiten argumentiert. Hier Personen, dort Daten. Letztere sollen durch Erstere in irgendeine (vorgebliche) Art von Erkenntnis gebracht werden; bescheidener dienen sie manchmal auch nur ungalanten Überprüfungszwecken – und/oder dem augenscheinlichen Aufpolieren des zarten Forscher_innen-Egos.

Selten jedoch wird konkret über die vorhandene Mannigfaltigkeit der Personen-Datenbeziehung nachgedacht. Über darin schlummerndes Schöpfungspotential schon bittesehr gar nicht. Dabei genügte ein beherzter Seitenblick in die Kunst. Mit Abstraktionen und Distanzen wird dort in vielfältiger Weise gekonnt jongliert. Während in den Sozialwissenschaften langatmig fortdisputiert wird, ob überhaupt ein objektives Individuen-Forschungsverhältnis denkbar und sinnvoll sei, spielt die Kunst mit Eventualitäten. So erweisen sich Abstraktionen als ein facettenreiches Medium, wenn es gilt, zwischen begrenzter subjektiver Wahrnehmung und Wahrnehmungspotentialen zu verhandeln. Oder um schlichtweg eine für das zugleich schöpferische und nichtöffentliche Individuum wirkungsvolle Distanz mit und zur Öffentlichkeit zu erzeugen. Im Prozess der Übersetzung werden nicht – wie gemeinhin in der  Soziologie üblich – neuerlich Grenzen gezogen, sondern gerade Möglichkeitsräume geöffnet.

Alleine, das hat mit gefürchteter Uneindeutigkeit nichts zu tun. Viel mehr gilt es zu erörtern, wie eine bewusste und energische Auseinandersetzung damit wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn fördert; wie (endlich wieder) schöpferisches Tun in die Soziologie transformiert werden kann.

Karin Scaria-Braunstein